Impuls zum Tag – 28./29. März 2020

Wir schaffen das – reloaded

Überall der Ruf nach Nachbarschaftsaktionen! Wie geht Begegnung in Zeiten der erzwungenen Distanz? Womit lässt sich die – für manche – plötzlich überreichliche Zeit füllen? Was soll die Kirche in Zeiten der Krise für verunsicherte Menschen tun? Kerzen ins Fenster! Die Glocken läuten zu später Stunde! Gebetsketten organisieren! Predigten per Livestream verbreiten! Telefonhotlines für konkrete Unterstützungsbedürfnisse einrichten! Wir müssen doch etwas sagen, etwas tun, etwas zeigen. Müssen trösten, ermutigen, helfen, dem Virus trotzen.
Der erzwungenen Absage unserer kirchlichen Veranstaltungen begegnen wir mit erhöhter Aktivität. Auf die verordnete Unterbrechung unseres eiligen Alltags reagieren wir reflexartig mit hektischer Betriebsamkeit und noch höherer Aktivitätsfrequenz. Natürlich wollen wir gerade jenen etwas Gutes tun, die durch diese Krise über Nacht in momentane oder existenzielle Not gestürzt werden.
Doch lässt sich so wirklich neue Kraft, neues Vertrauen aufbauen? Finden wir so das Wort, das uns und anderen wirklich hilft? Brauchen wir nicht genauso auch den Mut, die erzwungene Unterbrechung auch einfach Unterbrechung sein zu lassen und auszuhalten?
Vor wenigen Tagen telefonierte ich mit einer Frau aus unserer Kirchgemeinde – es ging um die notwendig gewordene Verschiebung der Konfirmation in den Herbst. Unkompliziertes Einverständnis. Und dann am Ende des Telefonates, ein bisschen aus dem Nichts, sagte sie mit fester Überzeugung: Wir schaffen das! Und meinte nicht nur die Terminverschiebung mit ihren organisatorischen Komplikationen. Sondern die ganze, riesige Herausforderung, die uns als Gesellschaft gerade auf verschiedenste Weise abverlangt wird und großteils noch bevorsteht. Für mich als „professionellen Trostspender“ ein wunderbar tröstliches Wort in diesem Moment. Ich – von Berufs wegen selbst Ermutiger – spürte in diesem einfachen Satz und der tiefen Überzeugung dahinter plötzlich eine große Ermutigung.
Schon einmal, vor fünf Jahren, wurde so ein starkes „Wir schaffen das“ von Oben gesprochen. Und es hat in unserem Land seither eine tiefe Spaltung offengelegt und wohl auch vertieft. Und jetzt dieses tapfere „Wir schaffen das“, von Unten, an der Basis gesprochen.
In dem Augenblick wurde mir klar: Das kann der Kitt sein, der uns als Nachbarn, als Gemeinde und als Gesellschaft jetzt beisammenhält, vielleicht sogar wieder näher zueinander führt. Was es für ein solches „Wir schaffen das!“  braucht, sind gewiss Aktivität und Hilfsbereitschaft, aber genauso auch der Mut, das eigene Tempo zu verlangsamen, die eigene laute Meinungsstimme zurückfahren, um das Wort zu hören, das uns wirklich weiterbringt. Dann hilft uns die jetzige Krise zu erkennen, dass wir für jedes Wir schaffen das! immer wieder auf Barmherzigkeit, Geduld und eine große Menschlichkeit (die eigene und die der Anderen) angewiesen sind.

Pfarrer Thomas Markert, Kemnitz