2024-02-04 – Was wird hier eigentlich rausgeschwitzt?
Da bin ich nicht der Einzige, der das besonders in diesen Tagen genießt – die Hitze der Sauna.
Unlängst saß ich mit einigen anderen in einer finnischen Sauna. Der Aufgussmeister kam herein, begann den ersten Aufguss und sagte dabei: Ich weiß schon, warum so viele in die Sauna kommen. Sie wollen ihre vielen Sünden herausschwitzen.
Links neben mir ließ die Antwort nicht lange auf sich warten: Was für Sünden? Die gibt’s doch nur in der Kirche. Und dort sind wir hier nicht.
Dann ging es mit anderen Themen gesprächig weiter. Von der durchaus üblichen andächtigen Stille im Schwitzraum war diesmal nichts zu spüren. Anregungen für Gedanken hatte ich aber zur Genüge: Sünden herausschwitzen. Welche Sünden? Die gibt’s doch nur in der Kirche.
O Mann, denke ich, dieser Mann hat zum einen leider so Recht und zum anderen aber auch nicht.
Ja, es ist so: Sünden gibt’s in der Kirche. Die Studie über sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche hat eine erschreckende Wirklichkeit gezeigt. Den heilen Ort und friedlichen Schutzraum gibt es auf gänzliche Weise nirgends auf der Welt – auch nicht in der Kirche, leider.
Es schmerzt mich, von so viel erfahrenem Leid und oftmals auch ignorantem Umgang damit aus der eigenen Kirche zu hören. Ja, Sünden gibt es in der Kirche. Und wir sind schon dabei und haben noch viele Aufgaben vor uns, mit dieser Last verantwortlich umzugehen.
Der Mann in der Sauna hat Recht – auch wenn er das noch vor dieser Studie sagte: Sünden gibt’s doch nur in der Kirche.
Und er hat auch nicht recht.
Sünden gibt es nicht nur in der Kirche.
Dabei meine ich nicht das dritte Stück Sahnetorte, wo mal wieder „gesündigt“ wurde. Auch nicht das Blitzerbild, was mir meine Verkehrssünde beweist. Auch wenn ich Pfarrer bin, bin ich ja bei weitem nicht nur in der Kirche. Mir begegnen Sünden jeden Tag.
Eine Frau erzählt mir den Schmerz, dass die Enkel nicht zu ihr kommen dürfen, weil sie Streit mit der Tochter hat. Oder ich höre von jemanden, dass es Übergriffigkeit im eigenen Familienkreis gibt. Da ist ein junger Mann, der bis in die Morgenstunden zockt und nicht davon loskommt. Zwei Kinder wünschen sich, dass Ihre Eltern nicht mehr streiten. Ein anderes Kind, dass der Vater nicht nur für die Arbeit, sondern auch mal für ihn Zeit hat. Eine Frau sagt mir: Es ist doch alles sinnlos. –
Sind das Sünden?
Ja. Und die sind nicht nur in der Kirche, sondern mitten in unserem Leben. Ich schreibe das nicht als Urteil und nicht als Rechtfertigung. Sünde ist, wo die Liebe und die Freude des Lebens nicht mehr erlebt werden. Wo irgendwas dazwischengekommen ist. Sünde heißt Abtrennung – vom Leben, vom Lieben, vom Frieden, von Gott und seiner Liebe zu uns.
Geht es nicht bald jedem so, unter dieser Art Sünde manchmal zu leiden?
Es gibt fast keine Zeitungsseite, wo nicht von Sünde – also fehlender Liebe, fehlendem Frieden und Vertrauen – berichtet wird.
Die kommende Passionszeit im Osterfestkreis, der heute beginnt, zeigt einen hoffnungsvollen Weg. In der Bibel wird der so beschrieben: Wer Sünde bekennt und loslässt, der wird Barmherzigkeit erleben. (Sprüche 28,13)
Diese Sehnsucht nach Barmherzigkeit, nach Frieden, Vergebung, Liebe und auch Gottvertrauen nehme ich bei vielen Menschen wahr – ich habe sie auch. Probieren Sie es mal ganz praktisch: Geben Sie einen Fehler zu, lassen Sie einen Streit oder eine Verurteilung los, bitten Sie einen Menschen und Gott um Vergebung. Der Frieden und die Lebensfreude werden nicht lange auf sich warten lassen. Das glaube und hoffe ich. In dieser Weise will ich gern „Sünden rausschwitzen“. Sie auch?
„Wort zum Sonntag“, von Daniel Mögel, Pfarrer in der Kirchgemeinde St. Nikolai Löbau , veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 3./4. Februar 2024.