2020-04-19 – Glaube, Hoffnung, Geduld
Glaube, Hoffnung, Geduld
In den vergangenen Tagen haben Christen in der ganzen Welt das Osterfest gefeiert und Juden das Pessachfest. Beide Feste sind eng miteinander verbunden: Eine Gruppe von Menschen erlebt eine leidvolle Situation, aus der sie durch einen spektakulären Befreiungsakt herausgeführt werden. Die Israeliten haben qualvolle Jahre der Sklaverei in Ägypten erlebt. In einer düsteren Nacht packen sie in aller Eile ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, so schnell, dass sie nicht einmal ordentlich Brot backen können. Sie ziehen aus dem Land, in dem sie viel Leid erfahren haben, in eine Freiheit, die sie seit Generationen nicht mehr kannten. Die Anhänger Jesu mussten mit ansehen, wie ihr Lehrer am Ende eines kurzen Prozesses zum Tod verurteilt wird und am Kreuz stirbt. Drei Tage später berichten einige Frauen, die am Grab waren, dass ihnen ein Engel dort gesagt hat, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Die zwei un-glaublichen Geschichten haben noch eine Gemeinsamkeit: Die Israeliten marschieren nicht durch’s Rote Meer direkt in das ihnen verheißene Land, in dem Milch und Honig fließen. Und die Jünger verkünden nicht gleich ab Ostermontag gut gelaunt der Welt das Wunder der Auferstehung. Die einen ziehen vierzig Jahre durch die Wüste, die anderen verbarrikadieren sich 40 Tage mehr oder weniger in ihren Häusern und sind traurig, verängstigt und hoffnungslos. Immer wieder fragen sich beide Gruppen: Wie soll es weitergehen? Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Rom: „Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld“ (Röm 8,24). Viele von uns hoffen, dass der 19. April die Befreiung aus unseren Beschränkungen bringt, alle Läden wieder öffnen, Schulen und Kindertageseinrichtungen die Betreuung aufnehmen, alles wieder anläuft und das Leben sich normalisiert. Wahrscheinlich wird das nicht so schnell werden, wie es sich die meisten wünschen. Aber wir dürfen die Hoffnung haben, dass auch diese leidvolle Phase ein Ende hat. Dazu braucht es Geduld. Das sind die Zutaten, aus denen der Glaube an Gott gemacht ist. Dass sich Gläubige davon getragen fühlen, ist nicht für jedermann leicht nachzuvollziehen. Dietrich Bonhoeffer, dessen Todestag sich am 9. April dieses Jahr zum 75. Mal gejährt hat, was in den Nachrichten über die Toten dieser Tage etwas untergegangen ist, hat es einmal in einem für mich sehr eindrücklichen Bekenntnis so ausgedrückt: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. […] (Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 30 f.).
„Wort zum Sonntag“, von Friederike Hecker, Pfarrerin der Kirchgemeinde Ebersbach,
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 18./19. April 2020.