2020-11-14/15 – Verwechselte Beschwerdestelle

Unzufriedenheit sucht ein Ventil und trifft fast immer die Falschen. Ich will gar nicht von der altbewährten Weisheit reden, bevor man den Splitter bei anderen zu entfernen sucht, den Balken im eigenen Auge zu beseitigen. Sondern ich will davon reden, dass einige ihren – meist berechtigten – Unmut bisweilen an Stellen äußern, die kaum Befugnisse und wenig Vollmachten haben, wirkliche Änderungen herbeizuführen. Deswegen verlangt der verärgerte, aber weise Kunde gerne den Chef oder eben die Chefin, um seine Änderungswünsche gesittet vorzutragen. Doch sowohl diese Bildung als auch angemessenes Verhalten scheinen manchmal in Vergessenheit zu geraten. Denn wer in großen Nöten, die uns weltweit durch Krankheits-, Wirtschafts- und auch Umwelt-Herausforderungen treffen, seine Anliegen bei Menschen vorwurfsvoll entlädt, platziert seinen Hebel ungünstig. Warum nicht direkt an den großen Boss wenden, der sowohl Kompetenz als auch Kraft hat, wirklich verändernd einzugreifen? Ich rede nicht von Machthabern dieser Welt, sondern von dem allmächtigen Gott im Himmel, der Heil und Unheil, Licht und Finsternis, Segen und Fluch bewirkt. Das würde vieles befrieden und nachhaltig helfen, denn bei Ihm ist kein Ding unmöglich. Seine Einladung zur persönlichen Fürsprache lautet unter anderem: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du wirst mich preisen (Psalm 50,15).“ Mögen wir dies beherzigen – und wieder ganz neu glauben und erfahren – , wenn wir in Schwierigkeiten geraten und in Gefahr stehen, uns gegenseitig das Leben schwer zu machen. Wer wirklich etwas verändern will, der sollte in der Zuständigkeits-Hierarchie ganz oben anfangen, – bei unserem lieben Vater im Himmel und ihn mit einem demütigen Herzen bitten, sich der Nöte gnädig anzunehmen.

„Wort zum Sonntag“, von Martin Wappler, Pfarrer in der Kirchgemeinde Sieben Kirchen-Dittelsdorf
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 14./15. November 2020