2021-01-10 – Von Recht und Gerechtigkeit
Ich liebe Krimis. Zum Weihnachtsfest gab es für mich dann eine Neu-Entdeckung: den Krimi-Podcast einer deutschlandweiten Wochenzeitung. Kein Lesen, sondern Hören. Keine Fiktion, sondern Realität. Geschildert wurde ein Verkehrsunfall. Der Verursacher wird – aus erzieherischen Gründen, weil er mit Promille fuhr – von den Geschworenen und vom Richter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das übergeordnete Gericht wandelt diese Strafe in eine Bewährungsstrafe um. Im Podcast wird der Richter dann befragt, ob er es ungerecht finde, wenn sein Urteil aufgehoben wird. Seine Antwort hat mich sehr beeindruckt. Nein, es sei absolut in Ordnung, wenn die eigene Entscheidung von einer anderen Behörde überprüft werde. Das sei keine Missachtung seiner Arbeit, sondern Korrektiv und in der Rechtsprechung unerlässlich, wenn das eigene Maß auch das der Gemeinschaft bleiben soll – so der Richter.
Die Bibel erzählt ebenfalls von Korrektiven. Die eigenen Wünsche nach Recht und Gerechtigkeit sollen mit dem Wohl der Gemeinschaft und des Einzelnen abgeglichen werden. Im heutigen Herrnhuter Losungsvers sagt der Prophet Jeremia in einem Gespräch mit Gott (Jeremia 12,1): „Herr, wenn ich auch mit dir rechten wollte, so behältst du doch recht; dennoch muss ich vom Recht mit dir reden.“
Jeremia sieht, was alles falsch läuft. Diejenigen, die es mit den Regeln nicht so genau nehmen, leben besser als die anderen. Und es scheint keine Strafe zu geben. Auch Gott tut nichts – so jedenfalls empfindet es Jeremia.
Gott lässt sich ein auf dieses Gespräch. Ja, es ist wohl so, dass Menschen das göttlich und menschlich Gebotene für eigenes Wohlbefinden übertreten. Aber Strafen allein kann Gemeinschaft nicht erhalten. Wie das Berufungsgericht im Podcast fragt Gott nach der Verhältnismäßigkeit. Und er zeigt, dass sich nicht jede Ungerechtigkeit beseitigen lässt und nicht jeder Regelverstoß geahndet werden kann. Manchmal bleibt da nur das Ertragen.
Unabhängig von Strafe oder Nicht-Strafe: Reden über das, was gelten soll, ist wichtig. Wichtig ist dabei auch, die eigene Position hinterfragen zu lassen – damit Eigenes nicht absolut gesetzt wird. Neben menschlichen Regelwerken ist eben auch Gott ein notwendiges Gegenüber, damit wir zu einer Verhältnismäßigkeit finden und uns ordentlich verhalten können.
In den vielfältigen Auseinandersetzungen um angemessene Entscheidungen wünsche ich uns das Engagement, eigene Positionen zu benennen, aber auch die Bereitschaft, diese zu modifizieren. Geteilte Verantwortung für die Gemeinschaft – so hat das der Richter im Podcast genannt.
„Wort zum Sonntag“, von Antje Pech, Superintendentin des Kirchenbezirkes
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 9./10. Januar 2021