2021-06-13 – Ihm zuliebe
Oftmals, wenn es im Gespräch um das Thema Glauben geht, geht es irgendwann auch um Kirche. Da sagt mir mein Gegenüber mit gutmütigem Blick, er sei ja auch „noch“ in der Kirche. Ich zucke innerlich zusammen. Das ist wohl lieb gemeint, aber der Satz berührt mich trotzdem unangenehm. Er klingt mitleidsvoll: Eigentlich ist der Entschluss zum Austritt so gut wie gefasst, aber irgendwie ist man eben doch noch drin. Vielleicht, weil man noch keine Zeit gefunden hat? Oder weil einen das schlechte Gewissen gegenüber der frommen Großmutter plagt?
An dieser Stelle möchte ich gern mal zu einer Liebeserklärung ausholen – für eben diese Kirche. Ja, ich bin auch „noch“ in der Kirche.
Wir, die Kirche und ich, haben mittlerweile eine lange Geschichte miteinander. Ich habe das Glück gehabt, in meiner Kindheit und Jugend einen großen Schatz an guten Erfahrungen in meiner Heimatgemeinde sammeln zu dürfen. Später, bei allen Wohnortwechseln waren Kirchgemeinden für mich immer eine entscheidende Anlaufstelle, um vor Ort anzukommen und Kontakt zu knüpfen. Ich wusste, wo immer ich hinkomme, ich werde dort Geschwister finden. Und oft genug habe ich herzliche Aufnahme gefunden.
Aber wie das mit Geschwistern so ist: Dem einen Bruder fühlt man sich innerlich näher, mit der anderen Schwester hat man sich nicht so viel zu sagen und manchmal gibt es zwischen Geschwistern auch ernsthaft Streit.
Es gab Zeiten, da habe ich mit mir gerungen und konnte mit all diesen Differenzen zwischen uns Glaubensgeschwistern nicht sonderlich gut umgehen. Vieles fühlte sich fremd und manches richtiggehend falsch an. Und genau genommen ist das bis heute so, nur bin ich dabei zu verstehen: Das Band, das uns zusammenhält, besteht nicht darin, dass wir uns besonders ähnlich sind und eine Meinung teilen, ganz im Gegenteil. Hätten wir nicht den gleichen Vater, so würden sich unsere Wege wohl vielfach nicht kreuzen. Aber eben genau das ist es, was uns zusammenbringt und zusammenhält: Ein Vater, dessen geliebte Kinder wir allesamt sind.
Nun, und wie Eltern sich nichts sehnlicher wünschen, als dass ihre Kinder untereinander Frieden bewahren und einander gut sind, so sagt auch Gott uns: Liebt einander, so wie ich euch liebe. Das ist eine Aufgabe, die es in sich hat: Die zu lieben, von denen ich mir geschwisterliche Nähe erhoffe und die mir doch oft so fremd bleiben.
Es ist mehr ein Entschluss als eine Gefühlsäußerung: Jeden Tag neu will ich mich darin üben, meine Geschwister zu lieben – dem Vater zuliebe.
„Wort zum Sonntag“, von Elisabeth Süßmitt, Pfarrerin im Kirchgemeindebund Löbauer Region
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 12./13.Juni 2021