2021-08-07 – Verstecktes Potential
Am 04. August 1859 starb Johannes Maria Vianney.
Er war ein katholischer Priester, der als Beichtvater des 19. Jahrhunderts in die Geschichte einging.
Dabei sah es am Anfang gar nicht danach aus. Man könnte es mit vielen netten Worten beschreiben, aber es läuft im Grunde auf eins hinaus: Er war ein dummes Kind. Jedenfalls schien es so.
Es gibt die Anekdote, dass er noch mit 21 Jahren Nachhilfeunterricht von einem 12jährigen Jungen in Anspruch nahm. Als mal wieder nichts in seinen Kopf hineinging, bekam er von dem entnervten Jungen ein paar saftige Ohrfeigen. Daraufhin kniete sich Vianney vor den Jungen und sagte: „Entschuldige, dass ich so dumm bin!“ Der Junge war von der Reaktion so überrascht, dass er über sich selbst nachdachte und zu weinen anfing.
Mit Ach und Krach bestand oder besser überstand Vianney seine Prüfungen. Er bekam die kleine Gemeinde von Ars zugewiesen, die völlig verwahrlost war. In die Kirche ging keiner mehr.
Vianney war kein moderner Zeitgenosse. Kneipen und Tanz waren für ihn Teufelszeug. Trotzdem spürten ihm die Menschen ab, dass er für sie da war. Ein Talent stach nach und nach besonders heraus: Die Menschen konnten mit ihren Sorgen und mit ihrer Schuld zu ihm kommen. Sie konnten loswerden, was sie bedrückte.
Vianney war als Seelsorger so begabt, dass die Leute zu Tausenden vor seiner Tür standen. In der Kirche fanden sie etwas, was sie sonst nicht bekamen. Die Gemeinde blühte auf.
„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“, sagt die Bibel.
Auf den ersten Blick sah es so als, als wäre bei Vianney nicht viel zu holen gewesen. Doch wir sind manchmal zu schnell dabei, andere und uns selbst zu bewerten.
Gott macht das anders. Schauen Sie doch mal, wo Sie vielleicht noch verborgene Schätze haben. Wenn ich durch einen Supermarkt oder den Ort gehe und die Leute sehe, denke ich manchmal: Wie viel ungenutztes Potential liegt hier noch verborgen? Was könnten wir erreichen, wenn wir nicht bei unserer Angst oder unserer Wut über unsere eigenen Grenzen und Vorurteile stehen blieben?
„Wort zum Sonntag“, von Benjamin Hecker , Pfarrer im Kirchspiel Oberes Spreetal
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 7./8. August 2021