2021-10-02 – Zeitenwende
„1989 Zeitenwende – Osteuropa zwischen Friedlicher Revolution und Gewalt“ – so heißt eine Ausstellung, die im September in der Görlitzer Frauenkirche zu sehen war. Fotos zeigten das, was viele von uns erlebt haben: Häuser, von denen der Putz bröckelt, die Montagsdemonstrationen, die Züge mit den Prager Botschaftsgeflüchteten, die Schornsteine von Bitterfeld. Vor allem aber zeigten sie eines: die Hoffnung auf Freiheit und darauf, dass Leben sich wendet.
Im Interview – 30 Jahre später – sagt der Fotograf Mirko Krizanovic, dass die Menschen seit 1989 viel Kraft gebraucht haben, um ihre Leben neu zu sortieren. Und dass ihn die Entwicklung radikaler Kräfte, die heute wieder so sichtbar ist, nicht verwundert. Schon 1990 habe er eine orientierungslose Jugend gesehen. Er habe das Gefühl gehabt, die Eltern fehlen.[1]
Zeitenwende – immer ist damit auch das Besinnen verbunden, was aus den eigenen Vorstellungen von einem guten Leben geworden ist. Jetzt an diesem Wochenende feiern wir 31 Jahre Deutsche Einheit. Und wir schauen zurück auf einen Wahlsonntag, an dem in fast allen Wahlbezirken im Landkreis die meisten Stimmen für politische Kräfte abgegeben worden sind, die sich für Abgrenzung zwischen Menschen stark machen.
„Du wirst Stätten wieder aufbauen, die seit Langem in Trümmern liegen. Grundmauern aus vergangenen Zeitenwirst du wieder herstellen. Dann wird man über dich sagen: Das ist der, der unwegsames Land wieder bewohnbar macht.“ (Jes 58,12). So spricht Jesaja, ein Prophet, vor mehr als 2000 Jahren. Der Aufbau der zerstörten Stadt Jerusalem ist gelungen. Die Häuser sind saniert. Essen und Arbeit gibt es. Frieden ist da. Dennoch sind die Menschen unzufrieden. Jesaja erinnert deshalb an die Hoffnung: Ihr wolltet doch so viel erreichen. Die Freiheit wolltet ihr nutzen, um ein gutes Leben für euch und alle anderen möglich zu machen. Den Frieden in der Gesellschaft wolltet ihr wertschätzen. Erinnert euch daran. Nutzt eure Kraft zum Guten!
Zeitenwende – das bleibt ein Auftrag. Damals gibt sich der Prophet nicht mit instandgesetzten Bauwerken zufrieden. Die Beziehungen zwischen Menschen und zu Gott sollen stimmen.
Heute ist dieser Hinweis genauso angebracht. Ein Bauen, das auf Abgrenzung basiert, das Grenzen wieder stark macht, ist gerade nicht das, was 1989 gewollt und erlebt wurde.
Ein Land bewohnbar machen betrifft eben nicht nur Straßen und Häuser, sondern fast mehr noch die Herzen der Menschen.
Herzliche Einladung:
2. Oktober 2021, 19.00 Uhr, „verändert“ – Ökumenischer Gottesdienst, Katholische Kirche „Mariä Namen“ Löbau
3. Oktober 2021, 19.00 Uhr, „3. Oktober – Deutschland singt. Einheit, Freiheit, Hoffnung.“, Ev.-Luth. Kirchenbezirk Löbau-Zittau (Veranstalter), Altmarkt Löbau
„Wort zum Sonntag“, von Antje Pech , Superintendentin des Kirchenbezirkes und Pfarrerin in Löbau
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 02./03.Oktober 2021
[1] Anlässlich der Ausstellung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mit Bildern und Bildunterschriften von Mirko Krizanovic sowie Texten von Prof. Dr. Tim Buchen und Doreen Reinhard, Dresden, 28. September 2019, 53.