2023-01-08 – Ansichtssache
„Ich hab dich gestern gesehen“ Was löst dieser Satz bei ihnen aus? Freude oder Erschrecken? Hab ich irgendwas Dummes angestellt? Gesehen zu werden kann Angst machen. Überwachungskameras, Blitzerfotos oder Datenspuren sind eher unbeliebt. Das ist die eine Seite…
Andererseits – wer will nicht gesehen werden? Was tun Menschen nicht alles, um gesehen zu werden! Ein Selfie hier, eine Statusmeldung da, ein ansehnliches oder bewusst schräges Äußeres, ein getuntes Auto, ein roter Teppich… alles für das gute Gefühl, „angesehen“ zu sein, dazuzugehören, beachtet und nicht egal zu sein.
„Ich muss mich wieder mal sehen lassen.“ Sagen wir manchmal. Sicher, es gibt Zeiten, wo „Lasst mich alle in Ruhe“ besser passt. Aber selbst da ist es gut, wenn mich Einer sieht. Nicht neugierig, aufdringlich oder weil er etwas von mir will, sondern aus echtem, liebevollen Interesse. Eine, die wissen will, wie es mir geht, die nicht nur beiläufig „wie geht’s“ fragt, sondern das auch wirklich wissen will.
Ich wünsche Ihnen Menschen, die Sie versuchen zu verstehen, sich ehrlich interessieren und Ihnen zeigen: es ist schön, dass es dich gibt! Das tut gut. Und vielleicht haben sie ja auch jemanden, den sie selber so sehen können? Wir brauchen das alle, gesehen zu werden. Aber Menschen können enttäuschen. Ich erlebe im Alltag Momente, wo ich nur mit einem Seufzer beten kann: Herr, du siehst mich, Du weißt alles. Das bringt mich zur Ruhe und hilft mir, Frieden zu finden.
Die Bibel erzählt von Hagar, die als Sklavin von Sarai und Abram in eine Leihmutterschaft gedrängt wird und, schwanger und gedemütigt, nur noch fliehen will. Sie erlebt Gott so existenziell, dass sie ihn anspricht: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Und diese Begegnung macht sie so stark, dass sie in ihr altes Leben zurückgeht. Die Gewissheit lässt sie vertrauen: Ich habe den getroffen, der mich sieht und gutes mit mir im Sinn hat.
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Diese Worte spricht eine Frau, die von Menschen so schwer enttäuscht wurde. Egal wie skeptisch oder enttäuscht Sie sind: Rechnen Sie damit, dass er sie liebevoll ansieht und sprechen sie ihn einfach an! Sagen sie ihm alles, was sie bewegt. Sie werden schon sehen.
„Wort zum Sonntag“ von Thomas Hoffmann, Gemeinschaftspastor der Landeskirchlichen Gemeinschaft Zittau, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 7./8. Januar 2023.