2024-08-24 – Rollenangebote

Die Geschichte ist schnell nacherzählt: Da war ein Mensch, der war unter die Räuber gefallen. Und da waren andere, die das gesehen haben, aber nicht helfen wollten. Weil er nicht zu ihrem Stand gehörte oder aus Angst oder aus Bequemlichkeit. Und dann war da einer, der hat sich des Notleidenden angenommen und hat sich das viel kosten lassen, obwohl sie einander von Haus aus fremd waren.

Jesus hat diese Geschichte einst als ein Gleichnis erzählt auf die Frage hin, wer mein Nächster ist und was es bedeutet, seinen Nächsten zu lieben (nachzulesen bei Lukas im 10.Kap.).

Vor 80, 90 Jahre, da waren viele unter die „Räuber“ gefallen. Und da waren so erschreckend viele, die das gesehen haben, aber nicht helfen wollten. Ob aus Verblendung oder aus Angst oder aus Bequemlichkeit? Und wenige waren es, die anders gehandelt haben. Und manchmal hat es sie viel gekostet.

Was hat sie wohl bewogen – die einen, wie die anderen? Wer kann das heute schon so genau sagen.

Aber die Rollen scheinen klar: Da sind die Täter. Da sind die Opfer. Da sind die, die zusehen und weitergehen. Und da sind die, die Nächstenliebe zeigen.

Wer wären wir? Wer wäre ich? Wer wäre ich gewesen, wenn ich zu einer anderen Zeit und Stunde geboren und aufgewachsen wäre? Unter anderen Umständen, an anderem Ort vielleicht sogar. Wie hätte ich gedacht und auch gehandelt – oder eben nicht gehandelt? Was hätte die Oberhand gewonnen: die Verblendung oder die Einsicht? Die Bequemlichkeit oder die Entschlossenheit? Die Angst oder der Mut?

Aber wohl wichtiger noch: Wer bin ich heute?

Und in welche Rolle würden wohl die Generationen nach mir mich einordnen – im Blick auf mein Handeln oder Nichthandeln, auf meine heutigen Entscheidungen?

Jesus hat Geschichten erzählt, damit sich Menschen darin wiedererkennen – in den Akteuren, in den Rollen. Aber nicht, um sie ein für alle Mal auf diese Rollen festzulegen. Sondern um aufzuzeigen: es geht auch anders! Du hast die Möglichkeit, anders zu handeln als gewohnt – täglich neu.

„Wort zum Sonntag“, von Constance Šimonovská, Pfarrerin im Kirchspiel Oberes Spreetal , veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 24./25.08.2024.