2019-11-23 – „Lasst uns feiern, sieben Tage lang ?“
Vor mir liegt ein schwerer Gang – Hosen kaufen. Es ist für mich immer ein Kampf, aber heute es muss sein, die alten hatten ihre Zeit. So machen wir uns in den Abendstunden zu zweit auf in ein Dresdner Einkaufszentrum. Doch was ist das? Auf dem Vorplatz des Einkaufszentrums scheint es schon Weihnachten zu sein. Glühwein, Bratwurst, Stollen, gebratene Mandeln und ein Laden mit Weihnachtsdevotionalien. Allein „Stille Nacht“ und „O du fröhliche“ tönen noch nicht aus dem Lautsprecher. Aber das tröstet mich nicht wirklich. Irritiert gehe ich schnell durch die Menschenmenge, die es sich sichtbar schmecken lässt. Dabei sind wir von Weihnachten noch über einen Monat entfernt, leben wir vom Kirchenjahr her gesehen in der „stillen Woche“, die vom Buß- und Bettag und dem Ewigkeitssonntag inhaltlich bestimmt werden.
Woran liegt es, dass die stillen Feste in Vergessenheit geraten? Vielleicht an den Themen, die von diesen Feiertagen bestimmt werden: „mir Zeit nehmen, Bilanz in meinem Leben zu ziehen und an meine Endlichkeit erinnert zu werden?“
Ich kann das verstehen, Fragen wie diese gehen in die Tiefe und ich weiß nicht, was sie in mir auslösen, wenn ich diese Fragen in mir zulasse. – „Nein, das will ich nicht haben, schließlich lebe ich doch nur einmal. Und die Zeit will ich genießen, schließlich weiß man nicht, wann es vorbei ist.“
Ja, das stimmt, ich weiß nicht, wie lange mein Leben noch dauert, aber gerade deswegen ist es für mich wichtig, mir meine Endlichkeit immer wieder einmal neu bewusst zu machen, und mir die Frage zu stellen, was mein Leben trägt und mit Sinn erfüllt. Und da ist für „Glühwein und Bratwurst“ kein Platz. Im Gegenteil, es hindert mich daran, still zu werden und auch dem Thema der Vergänglichkeit Raum zu geben; mich an jene zu erinnern, die nicht mehr leben, mit denen ich aber einen Teil meines Lebens geteilt habe, oder an Menschen zu denken, die auf der Zielgeraden ihres Lebens angekommen sind und bald sterben werden. – Trauer fühlt sich nicht gut an, aber ich brauche sie, weil sie meinem Leben Tiefe verleiht.
Neben Trauer und Schmerz ist auch die Hoffnung Teil meiner Gedanken. Nicht zufällig heißt der kommende Sonntag „Ewigkeitssonntag“, auch wenn er landläufig „Totensonntag“ genannt wird. In den Gottesdiensten werden die Namen der Verstorbenen verlesen, um der Trauer durch Erinnerung Raum zu geben. Zugleich wird für jeden Verstorbenen und jede Verstorbene ein Licht angezündet als Zeichen der Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort über das Leben spricht, sondern dass es ein Leben über den Tod hinaus gibt. Das zu wissen und glauben zu dürfen, ist für mich sehr trostvoll, denn es bricht die Dunkelheit des Todes auf. Zu den Tränen, die meine Trauer begleiten, mischt sich die Freude darüber, jene, die mir der Tod genommen hat, eines Tages wiederzusehen. Dies an Tagen wie diesen zu spüren, ist ein Teil von meinem Leben, den ich nicht missen möchte.
Feiern ja, aber alles zu seiner Zeit. Die „Stille Woche“ ist für mich kein guter Zeitpunkt.
Erwähnt sei noch, dass auch nach dem Ewigkeitssonntag noch nicht Weihnachten ist, sondern erst einmal „Advent“ – von seinem Ursprung her eine Fastenzeit.
Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen Sonntag und eine gesegnete Adventszeit.
„Wort zum Sonntag“, von Peter Pertzsch, Pfarrer im Fachkrankenhaus Großschweidnitz,
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 23. November 2019