2020-05-10 – Friedensmahnung

Die Sommerferien meiner Kindheit verbrachte ich bei meiner Großmutter im Erzgebirge. Sie war schon alt. Ausflüge oder andere spannende Dinge fanden kaum statt. Und ich langweilte mich oft. Aber meine Großmutter hatte für diese Wochen im Blick auf meine Erziehung einen Plan: jeden zweiten Tag kochte sie ein „Kriegsgericht“. So nannte sie das Essen, das sie aus der Erinnerung heraus zubereitete. Arme Ritter, Flecke, Rüben, hartes Brot – und- alles von Tellern mit der Aufschrift „Kriegsweihnachten 1942“. Ich gestehe: Es schmeckte mir überhaupt nicht. Und ich war froh, dass ich bei meiner Tante, die im selben Ort wohnte, am Nachmittag etwas Kinderfreundlicheres zu essen bekam. Heute weiß ich, was meine Großmutter erreichen wollte: Engagieren soll ich mich für eine Welt, in der Frieden ist zwischen Ländern und Menschen. Eigenes schlimmes Erleben will meine Großmutter für mich als Mahnung weitergeben. So, wie das auch als Inschrift auf Denkmalen zu lesen ist: „Uns zur Mahnung!“

Der Liederdichter Paul Gerhardt schreibt 1653: „Wer gibt uns Leben und Geblüt? Wer hält mit seiner Hand den güldnen, werten, edlen Fried in unserm Vaterland? Ach Herr, mein Gott, das kommt von dir, du, du musst alles tun, du hältst die Wach an unsrer Tür und lässt uns sicher ruhn.“ Damals ist der Dreißigjährige Krieg gerade fünf Jahre her. Nichts von dem, was Paul Gerhardt Schreckliches gesehen und erlebt hat, will er vergessen. Deshalb schreibt und singt er an gegen ein schnelles Zurück-zur-Normalität – weil das alles andere als normal wäre. Und er erinnert an Gottes Kraft. Wo Menschen sich an Gottes Willen halten- einander achten, die Gerechtigkeit hochhalten, vergeben, wohlwollend sprechen, nach Lösungen suchen, fair miteinander streiten, die Hände falten und beten -, da geht es friedlich zu im Land.

Übrigens: Vor einigen Jahren habe ich noch einmal „Arme Ritter“ gegessen. Es war eine Spezialität auf der Speisekarte eines Urlaubshotels. Sie haben – und ich staune selbst über diese Erkenntnis – bei Weitem nicht so gut geschmeckt wie die „Armen Ritter“ meiner Großmutter. Lebensgeschichte und Friedensmahnung sind eben doch wunderbare Gewürze.

„Wort zum Sonntag“, von Antje Pech, Superintendentin und Pfarrerin in Löbau,
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 9./10. Mai 2020.