2020-06-07 – Streit über Meinungen?

An den letzten Sonntagen auf dem Weg zu Gottesdiensten habe ich immer wieder die Demonstranten an der Bundesstraße stehen gesehen. Ein Gemeindemitglied hat mich dort sogar vermisst. „Adam, wo warst du?“ Es muss von ihm eher ein Witz gewesen sein, denn er weiß, dass ich sonntags normalerweise in der Kirche diene. Es hat mich aber zum Nachdenken gebracht:
Bei aller Lockerung im Lande demonstriert man jetzt- nach wie vor. Die Gesellschaft wirkt uneinheitlich, gespalten. So etwas gehört schon zu jeder Krise: gespaltene Gesellschaft, Chaos, Unsicherheit, Angst ob ich alles richtig mache.
Manchmal haben wir auch panische Zustände bei uns selber oder bei anderen in den letzten Monaten erlebt – zumindest wir Erwachsene, weil wir in der Corona-Krise manchmal überfordert werden. Jeder von uns war aus dem Alltag und Konzept herausgerissen, mancher bleibt auch bis heute überrascht, mancher übergenervt.
Manche Inkonsequenz der Maßnahmen gehört auch zu den Symptomen des Alltags. Für die einen ist jetzt die Gesundheit das A und O und die Angst vor dem Tod oder vor dem schlechten Gewissen (z.B. jemanden angesteckt zu haben). Diese Sorge beherrscht sie. In manchen Ländern oder Kreisen heißt es sogar: Das Leben muss womöglichst stehenbleiben, solange wir keine Vakzine, keinen Impfstoff dagegen finden. Aber weiß man überhaupt, ob ein Impfstoff gegen das neue Coronavirus gefunden wird? Das weiß man nicht.
Die anderen fragen eher nach dem Leben, nach der Arbeit, nach den Einkommen, nach der wirtschaftlichen Situation in der Region, weil das Leben nicht stehenbleiben kann, wenn wir nicht in Armut oder in eine neue Totalität absacken wollen. Eins ist, denke ich, für uns Christen klar: Wir Starken wollen die Schwachen schützen und stärken. Und die Schwachen sind sowohl ältere und vom Covid-19 bedrohte Menschen, als auch jüngere Menschen, die vor der Gefahr der Armut stehen, wenn die Wirtschaft nicht mehr langt. Deshalb orientiere ich mich am weisen Wort von Paulus: „Den Schwachen im Glauben nehmt an und streitet nicht über Meinungen.“ Röm 14,1

„Wort zum Sonntag“, von Adam Balcar, Pfarrer in Mittelherwigsdorf und Krankenhausseelsorger,
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 06./07. Juni 2020.