2021-03-20 – Bewusst auf das Kreuz konzentrieren

„Oh Gott, hört das noch immer nicht auf? Ich kann das einfach nicht mehr ertragen.“ Nur allzu bekannt klingen diese Worte zur Zeit in unseren Ohren. Jeder und jede trägt etwas: Sorgen, Krankheiten, Zustände. Fast zu schwer erscheint die Last, richtige Kreuzschmerzen plagen uns.
Das Kreuz ist in unserer Sprache zum deutlichen Symbol für eine Last des Körpers oder der Seele geworden. Manchmal benutzen wir den Begriff ganz unbemerkt, in dem wir über einen nervigen Zeitgenossen sagen: „Es ist wirklich ein Kreuz mit ihm!“ Wir fühlen uns kreuzunglücklich, wollen nicht „zu Kreuze kriechen“, „legen jemanden aufs Kreuz“ oder „leiern jemandem etwas aus dem Kreuz“. Wir machen „drei Kreuze“, wenn wir erleichtert aufatmen können.
Mir fällt auf, wie solche Redensarten oftmals unbewusst den eigentlichen Kern der Sache treffen. Auch wenn wir im Alltag Rituale wie z. B. das Bekreuzigen eher selten erleben, haben wir das Gefühl, gerade mit diesem Wort, der besonderen Schwere der Lage und unserer eigenen Hoffnungslosigkeit Ausdruck zu verleihen.
Seit Aschermittwoch befinden sich gläubige Christen in einer Vorbereitungszeit auf das kommende Osterfest. Der Verzicht auf etwas schafft einen Raum für etwas anderes. Viele Christen konzentrieren sich jetzt bewusst auf das Kreuz. Es steht für die Leidensgeschichte Jesu, wie sie in der Bibel aufgeschrieben wurde. Es steht aber auch für die Leiden der Menschen heute.
Ausgesprochene und unausgesprochene Stoßgebete prägen unseren Alltag, ob wir’s nun merken oder nicht. „Herrje!“ (Herr Jesus!) oder „Ojemine!“ (lat. O Jesu Domine!) rufen wir vor Schreck und Überraschung, „Bitte, lass mich heil zuhause ankommen!“, wenn ein Raser auf der Autobahn auftaucht, „Bitte mach, dass sie heute kommen!“, wenn der erhoffte Besuch schon lange ausgeblieben ist. Christen und Nichtchristen nehmen so Verbindung zum Höheren auf.
In der Leidensgeschichte Jesu erkennen wir, dass auch Gott zu uns Menschen Verbindung aufnehmen will. In Jesus, dem Menschensohn, in all seinem Leiden, in seiner Schwachheit, Armut und Verlassenheit kann ich mich selbst wiederfinden. Im Blick auf das Kreuz, das Jesus trägt, kann ich mein eigenes Kreuz, meine eigene Belastung erkennen und annehmen lernen. Denn auch Jesus bittet Gott angesichts seines nahenden Todes um Gnade: Vater, nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen angesichts des Leides, des Kreuzes. Eine schwere Übung! Wenn wir aber auf das Kreuz des Anderen sehen, ihm in seiner Schwäche helfen, mit zufassen bei seiner schweren Last, dann leuchtet auch uns das Licht des Ostermorgens. Es scheint aus unserem Blick und spiegelt sich: im Blick unserer Kinder, der Frau an der Supermarktkasse, dem alten Mann, der schimpfend Reden schwingt. Ausprobieren! Los!

„Wort zum Sonntag“, von Friedemann Bublitz, Pfarrer im Kirchgemeindebund Löbauer Region
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 20./21. März 2021