2022-05-22 – Seelenmangel?!

„Seelenmangel“, was für ein schauderhaftes Wort!
Es begegnete mir unvermittelt in einem Gesundheitsmagazin. Dort wurden 21 Gründe für Dauermüdigkeit aufgelistet. Und da mir Müdigkeit nicht fremd ist, nahm ich meine Tasse Kaffee und ging die einzelnen Punkte durch. Trifft da etwas auf mich zu?: „Bewegungsmangel?“ – Ich nickte.
„Smartphone-Licht?“ – Vielleicht.
„Sportliches Übertraining?“ – Eher nein; es sei denn das Setzen von Schriftzeichen gehört dazu.
„Diäten?“ – Nein, das nun wirklich nicht.
„Seelenmangel?“ – Du liebe Zeit, so was gibt’s?
Ich las weiter: „Ein Mangel am lebenswichtigen Spurenelement Selen ist zwar selten – kommt aber vor. Häufigste Ursache hierzulande sind Krankheiten mit verringerter Verwertung oder vermehrtem Verlust von Selen…“
Ach so, es ging also um Selen, mit einem „e“ zwischen S und l. Zugegeben: Der typische Lesefehler eines Theologen.
Doch der Gedanke ließ mich nun nicht mehr los, ob es auch Seelenmangel, also ein Fehlen seelischer Spurenelemente gibt?
Wenn ja, dann dürfte sich das wohl vor allem in geistlicher Dauermüdigkeit und Energielosigkeit zeigen.
Welche Krankheiten tragen bei uns wohl zur Schwächung der Seele bei?
Das sind am ehesten die, die schon lange im Tiefen schlummern und die in den vergangenen Jahren erst so richtig sichtbar geworden sind: Einsamkeit, Sinnverlust, Ich-Bezogenheit, Hoffnungslosigkeit… .
Diesen ohne Gegenmittel ausgesetzt zu sein, das führt sicher zu Seelenmangel. Da liegt natürlich die Frage auf der Hand: Wovon lebt die Seele eigentlich und wo kann sie aufatmen? – Nun, da gibt es ein lebenswichtiges Spurenelement, das diesem Sonntag sogar seinen Namen gegeben hat:
Rogate – Betet!
Und im Spruch für diese Woche heißt es: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.“ (Ps 66,20) Beten schenkt mir eine neue Sicht. Ich lasse mich wenigstens für den Moment nicht mehr in die Mangel nehmen von den Bildern und Nachrichten, sondern werde offen für die Erfahrung, dass Gott da ist und mich hört. Und so entsteht ein Raum, wo zur Sprache kommt, was sonst oft ungesagt bleibt und meine Seele müde macht. In mancher Hinsicht wirkt Gebet demnach wie Kaffee für die Seele. Nicht auszudenken, was dieser Gedanke in Kaffeesachsen auslösen könnte…

„Wort zum Sonntag“, von Gerd Krumbiegel, Pfarrer in Großschönau, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung
vom 21./22. Mai 2022.