2019-07-20 – Recht zum Widerstand ist kein Freibrief für Selbstjustiz

Am heutigen Tag jährt sich zum 75. Mal das Attentat auf Adolf Hitler. Um 12:42 Uhr explodiert die Bombe im „Führerhauptquartier“ Wolfsschanze bei Rastenburg in Ostpreußen. Es war der bedeutendste Versuch, Deutschland durch einen gezielten politischen Mord von der Diktatur des Nationalsozialismus und vom Krieg zu befreien. Die Beteiligten, die den Umsturzversuch fast alle selbst mit dem Leben bezahlt haben, haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Während der Nationalsozialismus Deutschland und Europa verbrecherisch mit Krieg, Gewalt und Vernichtung überzog, haben die Beteiligten des 20. Juli lange die Frage des Tyrannenmordes in allem Für und Wider abgewogen und verantwortliche Überlegungen für die Zeit danach angestellt.
Wäre das Vorhaben geglückt, davon gehen Historiker heute aus, hätte das nationalsozialistische Blutbad möglicherweise nur halb so viele Opfer und viel weniger Zerstörung gefordert. »Die verbleibenden zehn Monaten bis zum Kriegsende forderten fast doppelt so viele Menschenleben in Deutschland wie die fünf Kriegsjahre davor. Städte wie Dresden wären wohl nicht zerstört worden. Millionen Menschen hätten ihre Heimat wohl nicht verloren. Die Geschichte wäre wohl anders verlaufen. Das Attentat vom 20. Juli scheiterte und ist in der Nachkriegszeit durchaus kontrovers diskutiert worden.
Der 20. Juli wird heute zu Recht für den Mut zum Widerstand gewürdigt, Deutschland von einem Unrechtsregime zu befreien. Tyrannenmord bleibt dennoch Mord, das war den Attentätern bewusst. Es war eine schuldhafte Übertretung der Maxime des 5. Gebots: „Du sollst nicht töten“. Die Schwelle war und ist also hoch und es verlangt viel politische Verantwortung und großen Respekt vor dem Leben, solch ein politisches Instrument in Betracht zu ziehen oder zu wählen. Das „Recht zum Widerstand“ ist seit den 60er Jahren in Artikel 20 des Grundgesetzes als Möglichkeit festgeschrieben, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Die Schwelle ist hoch und keinesfalls ein Freibrief für Gewalttaten wie den hinterhältigen Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten Lübcke oder den gewaltsamen Angriff auf Hockenheims Oberbürgermeister Gummer. Solche Taten lassen allen Respekt und Verantwortung vermissen.
Im Gegensatz dazu möge ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer das verantwortliche Ringen des Widerstandes vom 20. Juli illustrieren: Vorausgesetzt, dass alle andere Abhilfe nicht möglich ist, dass erstens der Staat an seine Verantwortung erinnert wurde und dass zweitens den Opfern ohne Ansehung ihrer Person geholfen wurde, besteht drittens die Möglichkeit; „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“

„Wort zum Sonntag“, von Matthias Mory, Pfarrer der Kirchgemeinde Oppach,
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 20./21. Juli 2019.