2021-02-14 – social distancing

Gehören Sie auch zu denen, die WhatsApp benutzen. Da hört man ja oft Kritisches. Aber am Ende, Kritik hin oder her, nutzen es die meisten dann doch. Es ist eben auch zu praktisch. Man bleibt miteinander in Kontakt. Man kann sich kurz absprechen ohne sich erst in einem Telefonat zu verlieren. Und über den Tag schaue ich gern auch mal im Status, was Freunde und Bekannte da so einstellen. Es ist doch irgendwie nett, diese Möglichkeit, ein kurzes Lebenszeichen abzusetzen, gerade jetzt, wo unsere realen Begegnungen minimiert sind. Und ich kann nur staunen, wieviel Mühe sich manche geben, jeden Tag etwas Freundliches und Erbauliches zu posten, jeder in seiner eigenen Sprache. Eine Freundin zum Beispiel veröffentlicht jeden Morgen eine kleine Andacht. Eine andere bringt mir von jedem Spaziergang ein paar Impressionen aus meiner Heimat mit. Und manche kramen im Netz wirklich lustige Dinge aus und posten sie. Mehr als einmal saß ich vor meinem Telefon und habe herzlich gelacht. Das sind die wirklich guten Seiten.
Manchmal aber sehe ich mehr als mir lieb ist. Da tun sich im WhatsApp-Status wahre Abgründe an Frust, Wut und Hass auf. Das verwirrt mich: Ist das wirklich dieselbe freundliche Person, der ich sonst gelegentlich begegne? Die mir immer hilfsbereit und herzlich gegenübertritt? Dieselbe Frau, die an meinem Küchentisch gesessen und so einen netten und aufgeräumten Eindruck gemacht hat? Hier gewährt sie ihrem Adressbuch einschließlich mir auf einmal einen Einblick in ihr Inneres. Ich erschrecke ehrlich über das, was sie mir von sich zeigt.
Was mache ich mit diesen Selbstauskünften? Ignorieren, Benutzer sperren, so tun, als hätte ich es nicht gelesen? Oder antworten, weil man so viel Hass und Menschenverachtung einfach nicht unkommentiert stehenlassen darf? Das, was im Status steht, ist ja nun wahrlich keine Privatsache.
Und wie begegne ich diesen „Hasspredigern“, wenn wir das nächste Mal von Angesicht zu Angesicht aufeinandertreffen? Lasse ich die beiden Welten unverbunden nebeneinander stehen und tu so, als wäre nichts gewesen? Das klingt für mein harmoniebedürftiges Herz verlockend, aber es funktioniert nicht. Den Einblick, den mir der andere in sein Seeleninneres gewährt hat, werde ich so schnell nicht wieder los. Ich bin verunsichert und gehe auf Distanz.

Ein Jesuswort kommt mir in den Sinn: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, sagt Jesus. Unschwer ist an diesen Früchten zu erkennen, was ein jeder in seinem Herzensinnern kultiviert hat: Liebe und Freundlichkeit der eine. Zorn und Hass der andere.

Wir selbst entscheiden, was wir in unserem Herzen pflanzen und groß werden lassen.

„Wort zum Sonntag“ von Pfarrerin Elisabeth Süßmitt, Pfarrerin im Kirchgemeindebund Löbauer Region, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 13./14. Februar 2021