2020-07-12 – Die Chance in der Krise
Liebe Leserinnen und Leser, jetzt bitte nicht noch eine weitere Ausführung zum Thema Corona, mögen Sie denken. Und schon gar nicht an dieser Stelle, wo die Kirche kurz zu Wort kommt. Gibt’s da nicht vielleicht etwas Erbaulicheres?
Gern, aber bitte mit einem kleinen Rückblick versehen. Denn solche Zeiten, wie wir sie heute erleben, hat es schon immer gegeben, meist sogar viel lebensbedrohlicher. Diese Wochen und Monate mögen ihre Schwierigkeiten und ihren Preis haben, aber sie lassen uns das Leben – wenn auch die wirtschaftlichen und sozialen Verluste an vielen Stellen noch nicht abzusehen sind. Zu den Zeiten des Reformators Martin Luther ging es in Pestzeiten um das nackte Überleben. Oft sind ganze Landstriche entvölkert worden, die Auswirkungen einer Seuche waren verheerend. Und auch damals schon hat man versucht, einer Bedrohung durch allerlei Maßnahmen Herr zu werden. Aber Luther benennt daneben noch etwas anderes, das uns in diesen merkwürdigen Zeiten heute vielleicht aus den Augen geraten ist. Luther schreibt in einem Brief an den Theologen Johannes Heß 1527: Ist uns durch ungünstige Umstände „Gift und tödliche Krankheit hereingeschickt, so will ich zu Gott bitten, dass er uns gnädig sei und wehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen, Orte und Personen meiden, da man meiner nicht bedarf, auf dass ich mich selbst nicht verwahrlose und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiften und anstecken und ihnen so durch meine Nachlässigkeit Ursache des Todes sein möchte. Wo aber mein Nächster mein bedarf, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen, wie oben gesagt ist. Siehe, das ist ein rechter gottesfürchtiger Glaube, der nicht dummkühn noch frech ist und auch Gott nicht versucht.“
Luther unterwirft sich den Sicherheitsregeln seiner Zeit und fügt sich den Umständen. Aber er erkennt in der Krise auch die Chance, zu helfen. Wir wissen, dass Luther in der Zeit der Pestausbrüche in seiner Heimatstadt Wittenberg verschont geblieben ist, gleichzeitig aber auch die Chance genutzt hat, für andere Menschen da zu sein. Und Luther hatte dafür kein Telefon! Vielleicht können wir von diesem mutigen und starken Glauben lernen in dieser wechselvollen Zeit. Wie wäre das alles mit ein wenig mehr Zuversicht und fröhlichem Gottvertrauen?
Martin Luther 1527, aus einem Brief an Johannes Heß „Ob man vorm Sterben fliehen möge“ (Weimarer Ausgabe Band 23, 365 -366)
„Wort zum Sonntag“, von Friedemann Bublitz, Pfarrer der Kirchgemeinde Bischdorf-Herwigsdorf,
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 11./12. Juli 2020.