2021-07-31 – Bitte nicht gerade rücken

Nicht nur für Schüler war das ein ganz schön blödes Jahr. Am besten, es wird wiederholt, meinten einige. Aber kann man ein Lebensjahr wiederholen, wieder gerade biegen?
Ich war mal in Italien, am Schiefen Turm von Pisa. Kennen Sie das Geheimnis dieses Turmes?
Er war vor 850 Jahren super geplant. Als der Bau in der 3. Etage war, senkte er sich seitlich. Wie sich die Bauleute geärgert haben und wütend waren, kann man sich vorstellen. Abreißen? – war bestimmt eine Idee. Aber nach 100 Jahren war der Ärger verflogen. Sie kamen auf die geniale Idee, auf dem schiefen Turmansatz schief weiter zu bauen. Bis heute ist dieses schiefe Bauwerk eines der berühmtesten Türme der ganzen Welt.
Dem Hinweis: Bitte nicht gerade rücken! – würde sicher jeder zustimmen. Auf einem schiefen, geknickten Ansatz hoffnungsvoll weiter bauen, das ist das Geheimnis.
In der Bibel gibt es einen ähnlichen Vergleich. Da heißt es: „Das geknickte Rohr wird Gott nicht zerbrechen.“ (Jesaja 42,3).
Die Israeliten damals waren tüchtig „geknickt“, weil ihnen das schöne Leben in Jerusalem genommen war, sie in der Fremde leben mussten. Am liebsten hätten sie alles rückgängig gemacht. Dieser Zuspruch von Gott war den Leuten damals und ist vielen Menschen bis heute eine große Ermutigung. Trotz meiner Knicke und Brüche wird mein Leben nicht zerbrechen. Was das mit Gott zu tun hat? Damals und bis heute erleben Menschen, wie Gott ihnen einen neuen Blick auf ihr Leben geben kann. Z.B., dass ich geliebt und wertvoll bin.
Dass mir Brüche und Krisen eine neue Orientierung und Lebenstiefe geben können. Ich bin dankbar, dass mir diese Worte nicht nur Theorie, sondern wertvolle Lebenserfahrung sind.
Im Bild gesprochen: Wenn ein geknickter Ast verheilt, wird diese Stelle die festeste des ganzen Astes. Unlängst hat mich ein Ehepaar besucht, die vor vielen Jahren eine schlimme Not erleben mussten, an der sie fast zerbrochen wären. Sie hatten in dieser Zeit Gott und die Hilfe von Jesus Christus kennen gelernt und sich taufen lassen. Sie erzählten mir, wie sie den Schmerz bis heute noch spüren. Aber sie fühlen einen Lebenshalt und ein Getragensein von Gott, dass sie vorher noch nicht kannten.
Bitte nicht gerade rücken! Oder biblisch: Das geknickte Rohr wird Gott nicht zerbrechen. Vielleicht erzählen unsere Kinder mal ihren Enkeln, wie der Corona-Knick ihre Lebenserfahrung erweitert hat.
Und dass an den Brüchen der Flutnot Menschen nicht zerbrechen, dafür ist zu hoffen und zu beten. Ich will es jedenfalls tun.

„Wort zum Sonntag“, von Daniel Mögel , Pfarrer im Kirchgemeindebund Löbauer Region, Kirchgemeinde St. Nikolai Löbau
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 31.Juli/1. August 2021.