2021-10-09 – Kirmst-Zeit in der Oberlausitz

Im Herbst finden in der Oberlausitz die Kirchweihfeste – „Kirmst“ genannt – statt. Sonntag für Sonntag gestaffelt in allen Orten nach einem jahrhundertealten Plan, der in den Zeiten nach der Ernte fast aller Garten-und Feldfrüchte die Lebensfreude und Dankbarkeit zum Zug kommen lässt. Der Oberlausitzer Kalender veröffentlicht jedes Jahr die beeindruckende Fülle an Festen. Was zum Erntedank beginnt – der Dank an Gott für das Leben, das findet seine Fortsetzung mit den Kirchweihfesten und bezieht nun die Häuser Gottes ein – die schönen Oberlausitzer Stadt- und Dorfkirchen. Sie sind die Orte der Gebete, der Gottesdienste, der Lebensschwellen von der Geburt bis zum Tod, des Segens. Sie sind die Orte von vielen biographischen Erfahrungen und Weichenstellungen seit Generationen.

Die Kirmst kann mit dieser zeitumspanneden Sicht noch mehr als nur Feier sein. Sie erinnert an die Mitte des Lebens. Sie bringt Erinnerungen in die Gegenwart und schafft damit eine Verbundenheit zwischen Menschen und Zeiten. Sie schafft Verbindung mit Gott, der das Leben liebt und sich freut an Menschen, die lachen und tanzen, die zusammen kommen. Die Kirmst fördert die Gemeinschaft. Das ist vor allem in den Orten zu spüren, die das Fest mit Leben erfüllen und es für sich (wieder) entdeckt haben.

Im Psalm 84 freut sich der Beter auf den gemeinsamen Besuch des Tempels in Jerusalem: „Festfreude erwärmt mir Herz und Leib. Ich bringe sie vor den lebendigen Gott.“ (Ps 84,3b) Dieser Ort war das Vorbild für unsere Kirchen, manchmal bis in die baulichen Details hinein, wie den gedrehten Säulen am Altar oder dem Schriftzug mit dem Gottesnamen. Gott bekommt seinen Platz mitten im Ort, mitten im Leben. An diesem Ort sind die Sehnsüchte und Wünsche, die Freude und das Traurigsein aufgehoben bei Gott: „Ich war voller Sehnsucht, ein einziger Wunsch brannte in meiner Seele.“ (Ps 84,3a) Die Gebete durchdringen die Mauern. Die Glocken lassen Gottes Gegenwart jeden Tag in unser Leben klingen: Halte kurz in deinem Alltag an! Hole tief Luft. Lass die Freude am Leben sprechen! Wo gebetet wird, sind Glauben, Hoffnung und Liebe da. Wo Liebe ist, da ist Gott – mitten im Alltag – mitten unter uns. Die Kirchen machen das als Gebäude für uns sichtbar, indem sie einen Platz frei halten: Du bist eingeladen zum Fest des Lebens! Unsere Kirchen sind offene Orte, die alle Menschen willkommen heißen!

„Wort zum Sonntag“, von Christian Mai , Pfarrer in der Kirchgemeinde Zittauer Gebirge-Olbersdorf
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 08./09.Oktober 2021