2021-12-19 – „Macht hoch die Tür…“- ein altes Lied, neu gehört

…die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ So beginnt ein bekanntes Adventslied, das wir in unseren Kirchen oft und gerne singen (also d. h. vor Corona-Zeiten, als wir noch singen durften…). Und auch manche „Nichtkirchliche“ kennen das Lied, von dem es z.B. bei Youtube einige schöne Versionen gibt.

Das Lied verdankt seine Entstehung einem privaten Ärgernis, das bald ein öffentliches wurde. Im Königsberg des Jahres 1623 lebte der reiche Kaufmann Sturgis. Er nahm Anstoß daran, dass die Bewohner einer nahegelegenen Armenanstalt ständig eine Abkürzung über sein Grundstück nahmen. Der unangenehme Anblick von Gebrechlichen und Behinderten, die öfters über seinen Rasen latschten, störte ihn ganz empfindlich in seiner Villa-Welt. Und deshalb ließ er kurzerhand den ungewollten Publikumsverkehr durch den Bau eines schweren, schmiedeeisernen Tores unterbinden. Schlüssel rumgedreht, fertig. Damit wollten sich aber weder die Betroffenen noch die örtliche Kirchgemeinde zufriedengeben. Sie zogen in einer Prozession von der Armenanstalt bis vor`s Tor. Dort begannen sie ein neues, von Pfarrer Georg Weißel eigens für diesen Anlass komponiertes Lied zu singen. Der Kaufmann lauschte währenddessen auf der anderen Seite. Sein Herz wurde weich, er zog den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Nie wieder wurde das Tor verschlossen.

Der Text dieses nun fast 400 Jahre alten Liedes ist merkwürdig aktuell. Die Worte „die Tor macht weit“ machen mich angesichts abgesagter Weihnachtsmärkte und Zutrittsverbote für sog. „Ungeimpfte“ nachdenklich. Aktuell schließen eher Türen, müssen Menschen draussen bleiben, weil sie nicht unter „2G“ fallen. Und auf der anderen Seite müssen auch Intensivstationen Grenzen ziehen, sind angewiesen auf ein rücksichtsvolles Miteinander und das Einhalten hygienischer Mindeststandards.

Wir alle sehen uns immer wieder vor der Situation, dass wir zueinander – im Bilde gesprochen – wie anno dazumal der Kaufmann Sturgis den Schlüssel aus der Tasche ziehen müssen. Es wird für unser Land viel ausmachen, ob wir uns nicht verschließen, ob wir gelassener und offenherziger mit anderen Menschen umgehen können. Unsere schöne Region braucht das, und das anstehende Fest verdient das! Und (nicht nur, aber v.a.) für uns Christen heißt es, im Gebet zu bleiben und der guten Hoffnung; weil wir ohnehin nicht von wechselnden Verordnungen oder der Hoffnung auf das perfekte Weihnachtsfest getragen sind. Sondern weil der in uns wirkt, von dem das alte und so aktuelle Lied singt: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, Meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein; Dein Freundlichkeit auch uns erschein.“ Reinhören lohnt sich- es klingt trotz des Alters unverbrauchter als „Jingle Bells“ oder „Last Christmas“. Und feierlicher sowieso!

„Wort zum Sonntag“, von Jonathan Hahn, Pfarrer in der Kirchgemeinde auf dem Eigen,
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 18./19. Dezember 2021