2022-01-30 – Ein Mensch mit Ausstrahlung

Am letzten Wochenende waren wir mit unseren Kindern wieder im Hallenbad – endlich! Schon mehrere Tage lagen uns die beiden Großen in den Ohren: Wir wollen unbedingt baden. Als wir dann zusagten, dass wir wirklich fahren, strahlten Mädchen und Junge über beide Ohren. Ein strahlendes Kinderlächeln eben.

Uns Erwachsenen scheint dieses Strahlen manchmal abhandengekommen zu sein. Statt glücklicher Begeisterung versprühen wir lieber gequälte Arbeitsamkeit. Umso mehr irritiert die Geschichte, die diesen Sonntag im Gottesdienst zu hören sein wird. Mose hat gerade von Gott auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote erhalten. Nun kommt er mit einem derartigen Strahlen vom Berg, dass er eine Decke auf sein Gesicht legen muss. Anders hält das Volk Israel den Glanz auf seiner Haut nicht aus. Eine Gottesbegegnung hat ein Strahlen auf das Gesicht des Mose gezaubert.

„Nun gut,“ denken Sie vielleicht, „diese nette Geschichte aus dem Alten Testament bleibt alt, der Berg Sinai weit weg, Mose bleibt Mose und ich bleibe ich.“ Doch anders als man vielleicht meinen mag, begegnet Gott uns auch heute. Jetzt, gerade in diesem Augenblick, in dem Sie diese Zeilen lesen, ist er auch bei Ihnen. Die Frage an uns ist, ob wir seine Gegenwart wahrnehmen. Meist macht uns der Alltag mit all seinem Stress und seiner Informationsflut für die Gegenwart Gottes blind. Da kann es hilfreich sein, sich seinen Berg Sinai zu suchen, an dem man ganz im Hier und Jetzt sein und leise zu Gott flüstern kann. Vielleicht flüstert Gott dann zurück. Nicht im Blitz und Donner wahrscheinlich, aber ganz unscheinbar und still. Es ist eine Kunst, diese Momente im Alltag immer wieder einzubauen. Doch wenn das gelingt, wird Gottes Gegenwart durch uns strahlen.

„Wort zum Sonntag“, von Michael Müller, Pfarrer in der Kirchgemeinde Am Großen Stein Seifhennersdorf und Jugendpfarrer im Kirchenbezirk Löbau-Zittau, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 29./30. Januar 2022