2022-03-27 – Wer ist schuld?

Laufend höre ich diese Frage. Bei einem neuen Fleck auf dem Teppich, nach einem verlorenen Fußballspiel, während der Pandemie, selbst bei Wetterkapriolen fragen wir mittlerweile: Wer ist schuld? Ganz zu schweigen von dem Schrecken des Krieges, der uns zurzeit bedrohlich nahekommt.

Diese Frage überfällt uns wie ein Reflex, bei allem, was uns traurig, wütend, ängstlich, hilflos oder verzweifelt macht. Warum eigentlich? Genügt es nicht, dass wir etwas dagegen tun? Saubermachen, das Training verbessern, Infektionen verhindern, umweltbewusster leben, Flüchtlingen helfen und gegen den Krieg unsere Stimme erheben? Gott sei Dank, das geschieht! Oft in überwältigender Weise und so vielfältig, wie es ein paar Beispiele hier gar nicht ausdrücken können. Trotzdem ist diese Frage da… Ist es die Suche nach Verantwortlichen, einer Erklärung, oder der Wunsch nach Vergeltung? Neulich sah ich jemanden mit dem Satz auf seinem T-Shirt: „Ich war’s nicht“… Auch ein Reflex, der spontan auf „Wer ist schuld?“ folgt. Keiner möchte schuld sein! Dabei wissen wir alle, dass Schuld beim Namen genannt und bereinigt werden muss. Woher kommt dieser „Ich war’s nicht-Reflex“? Steckt mehr dahinter, als die Furcht vor Strafe oder Wiedergutmachung? Ist es die Angst, jemandem ausgeliefert zu sein, der mir schaden will? Ist es die Furcht, verachtet zu werden, oder nichts mehr wert zu sein? Und was ist mit Menschen, die sich schuldig fühlen, obwohl sie gar nicht schuld sind? Die Bibel unterscheidet zwischen einem Fehler im System und dessen Folgen, die wir als Schuld erleben. Der Systemfehler liegt dagegen tiefer. Es ist unsere Trennung von Gott, die zur Folge hat, dass unsere Welt so aus den Fugen geraten ist und wir ständig unter Anklage leben, schuldig zu sein. Diesen Ankläger nennt die Bibel Satan. Und seine Anklage ist berechtigt, solange wir darauf bestehen, von Gott getrennt zu bleiben.

Wir befinden uns mitten in der Passionszeit. Das sind die 7 Wochen vor Ostern, die auf das Ereignis hinweisen, das unsere Welt von Grund auf verändert hat. Der unschuldige Tod von Jesus Christus, dem Sohn Gottes am Kreuz hat diesen Systemfehler unserer Welt ausgelöscht und unsere Trennung von Gott überwunden. Die Urbeziehung unseres Lebens wird heil, wenn wir uns auf Gott einlassen. Gott bietet uns durch Jesus die Freundschaft an. Wir werden zu geliebten Kindern Gottes, die keine Schuldfrage der Welt mehr in ihrer Existenz bedrohen kann. Diese wunderbare Einladung nennt die Bibel Evangelium.

Die Passionszeit ist eine Fastenzeit, in der Christen bewusst verzichten üben. Ich habe mich für (mindestens) 7 Wochen ohne Schuldzuweisungen entschieden. Ich möchte mich durch Jesus befreien lassen von Schuld-Reflexen, die mein Leben bestimmen wollen. In den letzten Tagen lief auf verschiedenen Sendern der Film „Honecker und der Pastor“, der die wahre Geschichte erzählt, wie Pfarrer Holmer und seine Familie das Ehepaar Honecker in ihr Haus aufnahmen, als diese kurz nach der Wende quasi obdachlos waren. Diese Freiheit zu Liebe und Barmherzigkeit bei aller Schuld, macht die geheilte Beziehung zu Jesus Christus möglich. Ich wünsche Ihnen und mir diese Freiheit.

„Wort zum Sonntag“ von Thomas Hoffmann, Gemeinschaftspastor der Landeskirchlichen Gemeinschaft Zittau, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 26./27. März 2022.