2022-04-10 – Habe ich es euch nicht gesagt?

„Habe ich es euch nicht gesagt?“ Vielleicht hat das der eine oder andere schon mal gehört oder musste diese Frage auch selber schon loswerden. Viel schwingt da mit. Wohltuend ist es wenn man es sagen kann, nachdem niemand mehr daran glauben wollte, dass etwas Gutes passieren wird.
Aber zurzeit sind diese Worte, die Worte ukrainischer Politiker, die sich in Verzweiflung an die westliche Welt wenden. Sie haben uns doch gesagt, dass Russland Krieg will. Sie haben uns doch gesagt, dass die Erdgasverbindung Nord Stream 2 eine Falle ist. Aber die deutsche Politik, große Teile der Gesellschaft (einschließlich mir) wollten das nicht hören.

Wenn Jesus sagt: „Ich habe auf der Welt deine Herrlichkeit sichtbar gemacht,“ (Joh 17,4) dann kann das sehr naiv wirken.
Sieht Jesus nicht den Zorn der Eliten?
Sieht Jesus nicht, dass er für die Regierenden ihn als bedeutungslosen Bauern sehen, der im Schachspiel der Selbstherrlichen geopfert wird?
Sieht Jesus nicht, dass seine Botschaft in den nächsten 2000 Jahren immer wieder als Steinbruch zur Untermauerung von Machthunger, Geltungssucht und Menschenfeindlichkeit herhalten muss?
Denn, hat Jesus uns nicht aufgetragen zu deeskalieren, hat er uns nicht die Botschaft gegeben: Gott und unsere Mitmenschen zu lieben? Hat er uns nicht gewarnt, dass, wenn wir unsere Herzen an ein endlos wachsendes Privatvermögen hängen, unsere Welt den Bach runtergeht?
„Habe ich es euch nicht gesagt?“ wird der Satz sein, den er uns sagen könnte, wenn er sich wieder an uns wendet.
Vielleicht ist Jesus aber auch nicht naiv gewesen, als er diese Worte zu Gott gebetet hat.
Vielleicht hat er gewusst, dass seine Botschaft Bestand hat, auch wenn die Menschen, Politik und Kirchen sie immer wieder verdrängen und an ihr scheitern.
Denn objektiv ist Jesus gescheitert.
Denn, wurde er nicht verhaftet, geschlagen und hingerichtet?
Normalerweise hätte die Botschaft eines so unbedeutenden Gurus dort ihr Ende finden müssen. Aber seine Botschaft von einer neuen Welt, in der ich der Versuchung nach meinem persönlichen Vorteil entkommen kann und meine Schuld nicht aufgerechnet wird, sie ist trotz allem durch die Welt gegangen und bis heute ein Bestseller geblieben.
Vielleicht weil es seine Botschaft die Menschen zur Rückbesinnung bringen kann. Eine Botschaft, die Menschen trotz ihrer Schwäche und Irrtümer wieder aufrichten kann. Denn die Herrlichkeit Gottes ist niemals selbstherrlich, sondern meint etwas Heilsames. Aber es liegt an uns Menschen sie zu ergreifen.  

„Wort zum Sonntag“, von Richard Vogel, Gemeindepädagoge in Großschönau,  
veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 9./10. April 2022