2022-04-17 – Erste Osterzeugin

Ausgerechnet eine Frau mit einer „lückenhaften Biographie“ ist die erste Osterzeugin. Maria aus der Stadt Magdala, ausgerechnet diese Frau erfährt als erste, wieso man heute noch Ostern feiert:

Todtraurig ist sie über das gewaltsame Ableben des Jesus von Nazaret; so kann man es in der Bibel, Johannes 20,1-18, nachlesen. Irritiert steht sie vor seinem Felsengrab. Darin liegt jedoch kein Leichnam mehr. Verständlich, dass die Seele der Maria statt von andächtigem Gedenken nur noch von panischer Irritation umfangen ist. Bis zur Sinnestäuschung führt die Situation: Die schattenhafte Figur, die im Grabeingang steht, hält Maria für den Gärtner des Anwesens. „Wo hast du ihn hingelegt?“, fragt sie in der zweifelhaften Hoffnung, den Leichnam bei sich zu bergen.

Ein Osterwunder geschieht, als der vermeintliche „Gärtner“ Maria anspricht. Die Leser:innen des Johannesevangeliums wissen: Jesus ist am Ostermorgen endgültig auferstanden von den Toten hinein in die Welt Gottes; dort gibt es den Tod nicht mehr. Der auferstandene Jesus spricht Maria mit nur einem Wort an, ihrem Namen: „Maria!“ Wenn der eigene Name erklingt – Babies hören gewöhnlich als erstes von ihren Eltern den Namen –, da wird das ganze Leben aufgerufen. Alles, was Maria im Seelengepäck mitbringt, hat Jesus im Blick. Er sieht es – und ruft Maria mit diesem ganzen Gepäck. Da verwandelt sich in ihr alles. Sie lebt über sich selbst hinaus, denn Gottes Welt zeigt Interesse an ihr zeigt.

Ein Osterwunder geschieht, wenn ein Mensch merkt: Gott hat Interesse an mir. Insofern das immer wieder passiert, behält die erste Osterzeugin heute noch Recht.

„Wort zum Sonntag“, von Stephan Rehm,  Pfarrer in Neugersdorf, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 16./17. April 2022.