2022-06-19 – Wählen und bekennen

Letzten Sonntag haben wir uns wieder daran erinnert: Im Dorf, wo wir wohnten, gingen meine Frau und ich vor Jahren nach dem Gottesdienst zur Wahl. Auf dem Weg hielt ein Auto neben uns, Fensterscheibe ging runter und wir hörten: „Herr Pfarrer, wähln’se das Richtige – oben links!“ Das war Wahlwerbung live von einem Mann, den wir aus dem Dorf gut kannten.
Letzten Sonntag war bei uns in Löbau am Wahltag auch Konfirmation. Kennen Sie den Zusammenhang zwischen Wahl und Konfirmation? Bei beiden geht es um eine Entscheidung und um ein Bekenntnis.
Zum einen die Entscheidung, gehe ich zur Wahl oder nicht (49,6%), lasse ich mich konfirmieren oder nicht.
Und zum anderen: Mit meinem Wahl-Kreuz bekenne ich mich zu einer Partei bzw. einem Programm, etwa wie und von wem unser Landkreis geleitetet werden soll.
Mit der Konfirmation bekenne ich mich zu einem Gott, der zu mir sagt: Ich habe dich geschaffen, ich liebe dich, folge mir und meinem „Programm“ der Liebe.
So viel, so gut. Es gibt aber noch etwas, was Wahl und Konfirmation verbindet: eine offene oder heimliche Kritik daran.
Warum sollte ich wählen, wenn sich „die da oben“ sowieso nicht an das halten, was sie bei der Wahl versprechen? Warum sollte ich mich konfirmieren lassen, wenn ich an Jesus und seinem „Programm der Liebe“ sowieso meine Zweifel habe?
Ich kann beide Kritiken gut verstehen. Sie erinnern mich an einen Bibelvers, den sich ein Jugendlicher mal als Konfirmationsspruch gewählt hat: „Lasst uns nicht lieben mit Worten und mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.“ (1. Johannesbrief 3,18).
Sowohl in der Politik als auch in der Kirche besteht diese Gefahr: Wasser predigen und Wein trinken. Ich merke zunehmend mehr: Eine Gefahr zu erkennen, ist nicht das Problem. Schimpfend bei ihr stehen zu bleiben, das ist das Problem.
Ich habe Politiker erlebt, die meinen Einwänden ernsthaft zuhörten und ihr Handeln überdachten, obwohl wir unterschiedliche politische Ansichten hatten.
Deshalb: Gehen Sie wählen und mischen Sie sich ein.
Und in der Kirche? Ich sehe Jugendliche, die ihr Bekenntnis zu Jesus Christus offen leben und für viele zum Segen werden. Ich selbst durfte wegen meiner Konfirmation und dem Glauben an Christus nicht zum Abitur. Heute sehe ich, wie viel Gutes ich durch dieses Bekenntnis zum Programm der Liebe Jesu erfahren durfte.
Wählen Sie dieses Bekenntnis. Zweifel allerdings habe ich bis heute: Für mich passen Jesu Liebesprogramm und Waffenlieferungen nicht zusammen. Das muss ich bekennen.

„Wort zum Sonntag“, von Pfarrer Daniel Mögel, Pfarrer in der Nikolaikirchgemeinde Löbau, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 18./19. Juni 2022.