2023-05-14 – „Herr Pfarrer, Sie können mir auch nicht helfen.“
Diese Worte nehme ich in Gedanken mit, als ich die Station verlasse. Sie stammen von einer Frau, Mitte Fünfzig. Seit drei Monaten leidet sie an einer schweren Depression. Alle Versuche von mir, ihr Hoffnung und Mut zuzusprechen, waren vergeblich geblieben. Was ich ihr auch gesagt habe, ihr Herz schien von einer dunklen Wand umgeben zu sein. Als ich wenig später im Auto saß, habe ich ein Gebet für die Frau gesprochen. Im Gespräch selbst habe ich es mir nicht getraut, wollte ich nicht aufdringlich sein. Ich glaube, ich habe das Gebet in diesem Augenblick wohl mehr für mich selbst gesprochen. Es war schwer, die Ohnmacht auszuhalten, der Frau nicht weitergeholfen zu haben. – Etwa ein viertel Jahr später spricht mich bei der Verabschiedung nach dem Gottesdienst genau jene Frau an und sagt: „Herr Pfarrer, ich wollte mich noch für damals bedanken, wo sie mir Mut gemacht haben, durchzuhalten. Ich habe Sie damals ganz schön auflaufen lassen. Aber ich hatte damals alle Hoffnung aufgegeben, dass es mir einmal besser gehen würde. Jetzt ist es soweit! Danke!“ Dann erzählt sie, wie ihr Leben seit unserem Gespräch weitergegangen ist. Aus jeder ihrer Silben klingen die Hoffnung und die Freude, die ihr Herz erfüllt hat. Ich bin innerlich berührt und freue mich für sie. Ich denke an mein Gebet im Auto und sage im Stillen: „Danke, Gott!“
Der morgige Gottesdienst trägt den Namen: „Rogate“ – „Betet!“ Wir sind eingeladen, uns in das Wagnis des Gebets hineinzubegeben. Sicher, Gebet ist immer mit dem Risiko verbunden, dass die Dinge nicht so kommen, wie wir es uns wünschen. Aber das ist wohl auch nicht der Sinn eines Gebets, es sei denn, wir sehen in Gott eine Art „Wunscherfüllermaschine“. Dann ist Enttäuschung vermutlich vorprogrammiert.
Hilfreicher sind für mich die Worte von Dietrich Bonhoeffer: „Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott.“ Sie nehmen mir den inneren Druck, als müsse ich „liefern“, wenn ich für jemanden oder für etwas bete. Nein. Gebet heißt: Meine Sorge und Anteilnahme in die Weite der Liebe Gottes hineinzulegen und darauf zu vertrauen, dass Gott aus allem, selbst aus dem Dunkelsten, etwas Gutes wachsen lassen kann. Das macht mich und meinen Glauben angreifbar, aber es lässt mich bei allem Wanken hoffend bleiben; und der Welt und den Menschen zugewandt im Hören und Anteilnehmen an ihrem Leid. – Und manchmal geschieht es tatsächlich, dass wir erfahren, wie aus den Bitten eine neue Wirklichkeit wird. Wenn das geschieht, ist es für mich jedes Mal ein Wunder. Mein Herz springt innerlich vor Freude und Dankbarkeit. Und noch etwas geschieht: Mein Mut zum Beten hat wieder ein kleines stückweit zugenommen.
„Wort zum Sonntag“, von Peter Pertzsch, Pfarrer und Krankenhausseelsorger im Fachkrankenhaus Großschweidnitz , veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 13./14. Mai 2023.