2023-06-25 – Vom Wachsen und Abnehmen

Was wie der Titel einer neuen Diät in der „Brigitte“ klingt, gilt erstaunlicherweise zunächst nicht für Kalorien, sondern für unser Kalenderjahr.
Wenn wir uns das Jahr als große Waage vorstellen, wo auf die eine Waagschale alle schon vergangenen Tage kommen und auf die andere alle, die laut Kalender noch vor uns liegen, dann stellt sich dieser Tage das Gleichgewicht ein.
Was war, ist nun ebenso viel, wie das, was noch kommt.
Und heute zum Johannistag am 24. Juni, da schauen wir etwas staunend auf das halbe Jahr zurück, das schon wieder vergangen ist und reiben uns die Augen, dass in 6 Monaten schon wieder Weihnachten sein soll. – Wie schön wäre es jetzt, wenigstens kurz die Zeit anzuhalten, sozusagen einmal den Kopf aus dem schnell dahinfließenden Strom der Zeit herauszuheben, um nicht unversehens in die Adventszeit gespült zu werden.

Darum nutzen Christen am Johannistag die Gelegenheit, Rückschau zu halten und neu nach Gottes Wegweisung für das Kommende zu fragen.
Vielerorts finden Johannisandachten auf Friedhöfen statt. Genau also zu der Zeit, wo das sommerliche Leben brummt – Erich Kästner würde sagen: wo der „Sommer in der Sonne schnurrt wie eine Katze“, da gehen Christen an den Ort der Vergänglichkeit, der ja durchaus frierende Gedanken weckt.
Doch dieser Gang ist wichtig um nicht den sommerlichen Moment, der so schön nach Leben schmeckt, mit der Ewigkeit selbst zu verwechseln. Die Botschaft des Johannistages hilft mir, das, was kommen mag, getrost Gott zu überlassen.
Ein Lied von Detlev Block fasst das betend in die Worte: „Kaum ist der Tag am längsten / wächst wiederum die Nacht. / Begegne unsren Ängsten / mit deiner Liebe Macht. / Das Dunkle und das Helle, / der Schmerz, das Glücklichsein / nimmt alles seine Stelle / in deiner Führung ein.“
Es gilt also die Kräfte einzuteilen für das zweite halbe Jahr und zu fragen: Was sollte ich lassen und was muss stärkeres Gewicht bekommen?
Auf diese Frage hat Johannes der Täufer einst geantwortet: „Er – Christus – muss wachsen; ich aber muss abnehmen.“
Und so sind wir am Ende doch bei einer Diät und zwar im Sinne eines veränderten Lebenswandels. Daher wünsche ich uns: ein Leben, in dem das Kreisen um uns selbst abnimmt und in dem zugleich das Vertrauen wächst auf Gottes tragende Kraft.

„Wort zum Sonntag“, von Gerd Krumbiegel, Pfarrer in Großschönau, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 24./25. Juni 2023.