2023-09-24 – Demut lernen
Geschichte war in der Schule wirklich nicht mein Fach. Die „Urmenschen“ fanden wir alle noch ganz spannend. Ab dem Mittelalter wurde es kompliziert. Welche Mächte und Gewalten da zusammenwirkten. Schlachten widerten mich an. Und so richtig blühte unser Geschichtslehrer auf mit der Gründung der Sowjetunion 1922 und der DDR im Jahr 1949. Es war Geschichte unter einem bestimmten Vorzeichen. Wichtigster Satz damals und immer schon belächelt: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ Es wurde (nur) das Gute des Sozialismus und des Kommunismus erzählt. Die Bösen lebten „im Westen“. In unseren kindlichen Vorstellungen war das schon immer so. Dass der Kommunismus siegen würde, das wusste in unserer Schule jedes Kind, auch wenn viele davon nicht überzeugt waren.
Zu Hause und bei meinen Großeltern hörte ich auch eine andere Sicht auf unsere Geschichte. Hörte von Flucht, von Stalin, vom Aufstand am 17. Juni. Das war in der Schule verschwiegen worden.
Nach der politischen Wende und im Studium lernte ich Geschichte noch einmal neu und umfassender. Dazu gehörte auch biblische Geschichte. Der weise Mann Jesaja sieht Ungerechtigkeiten in seinem Land und schreibt dazu: „Wehe denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen! Sie bezeichnen Finsternis als Licht und Licht als Finsternis, Bitteres als süß und Süßes als bitter.“
Freilich hat das Meiste zwei Seiten – eine helle und eine dunkle. Nur ein Lolli ist von allen Seiten süß.
Achten wir darauf, dass die Fakten unserer Geschichte nicht verdreht werden! Wir können uns nicht in eine Opfer-Rolle begeben, weil es uns jetzt gerade so passt. Und erst recht können wir das Böse, das aus dem Dritten Reich gewachsen ist, nicht erneut weglassen oder sogar gutreden. Es bleibt ein grässlicher Fakt! „Aus der Geschichte lernen, heißt Demut lernen!“ – vielleicht kann es so heißen; gerade für uns deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Wirkliche Demut stände uns gut zu Gesicht.
„Wort zum Sonntag“, von Dorothee Markert, Pfarrerin in der Kirchgemeinde Großhennersdorf-Rennersdorf-Ruppersdorf, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 23./24. September 2023.