2023-11-05 – Alles hat seine Zeit
Am Anfang der Woche war ich mit meiner Familie auf einer Radtour durch die Lausitzer Seenlandschaft unterwegs. Bei „Kaiserwetter“ machte das natürlich doppelten Spass. Am Nachmittag kamen wir dann bei einem eisernen Aussichtsturm an. Beim Hochsteigen machten wir die Entdeckung, dass sich auf dem von der Sonne angewärmten Eisen tausende (wahrscheinlich reicht tausende gar nicht) Marienkäfer niedergelassen hatten. Sie tun das, um in den jetzt selten gewordenen wärmenden Sonnenstrahlen vor der langen Winterpause aufzutanken, bevor sie sich in Laubhaufen verkriechen und ihre Aktivität herunterfahren. Ein sehr eindrückliches Erlebnis.
Ist es nicht so, jetzt, wo wir massiv spüren, dass die Tage wieder sehr kurz werden, suchen wir bewusster helle Erlebnisse, sehnen uns mehr als sonst nach Licht und Wärme. Uns wird der Wärme- und Lichtverlust der kälteren Jahreszeit deutlicher denn je vor Augen geführt. Diese Zeit bringt uns intensiver dazu, über Verlust, Abschied, Vergänglichkeit und Dunkelheit nachzudenken.
Ähnlich wie die Marienkäfer suchen wir dann Gelegenheiten, die uns Licht in dunkler Zeit sein können. Feste, wie Martinstag oder die Vorfreude auf die lichtreiche Adventszeit sprechen dafür eine eigene Sprache. Nicht umsonst holen sich viele die Boten dieser Zeit schon „vorfristig“ ins Haus.
Und doch, ohne das bewusste Erleben der auch dunklen Lebenszeiten wäre das eindrückliche Erlebnis Licht nicht möglich. Zugegeben, das Aushalten der dunklen Zeit ist schwer, und doch öffnet sie die Augen für ernste Lebenszeiten, die genau wie Lichtzeiten dazu gehören. Der Lebenszeit Raum für Ruhe und Nachdenken geben, fällt in unserer hektischen Zeit meist hintenunter. Und doch ist auch das wichtig, denn so gönnen wir unserem Körper die notwendige Erholung und Regeneration.
Ich kann mich erinnern, bei meinen Großeltern hieß das „Dunkelstunde“, also das bewusste Nichtstun – sogar der Fernseher blieb aus.
Nicht umsonst hat es die Natur so eingerichtet, dass diese Jahreszeit die Zeit der Regeneration ist, also das bewusste Innehalten, durchatmen, neue Kräfte sammeln.
In der Bibel schreibt einer, der sehr bewusst lebt, der Prediger Salomo: Alles hat seine Zeit – geboren werden, leben, sterben weinen, heilen, klagen, tanzen behalten, wegwerfen, verlieren, suchen, finden, Streit, Frieden, …. (Salomo 3, ab Vers 1)
Oftmals und in den verschiedensten Formen ist diese Weisheit schon zitiert worden bis hin zur Puhdys-Ballade „Wenn ein Mensch lebt“.
Genauso vielfältig können wir mit der Zeit umgehen, die eine Zeit der Ruhe, des Bastelns, der längst schon fälligen Besuche, der Zitate „Das wollte ich doch schon lange mal machen“ , …. ist. Kaufen wir die Zeit aus – um mit einem anderen Bibelzitat zu argumentieren, und nutzen die uns geschenkte Zeit bewusst auch in dunkleren Stunden.
Wir wissen, nach der Pause wird eine neue immer lichtintensivere Lebenszeit kommen.
„Wort zum Sonntag“ von Mirko Hirsch, Religionslehrer im Kirchenbezirk Löbau-Zittau, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 4./5. November 2023.