2024-02-11 – Streik!

Als vor einiger Zeit die Landwirte mit ihren Traktoren die Autobahnen blockierten, um gegen die Sparmaßnahmen der Regierung zu demonstrieren, hatte ich dafür durchaus Verständnis. Das Verfassungsgericht hat unserer Regierung einen massiven Fehler attestiert. Warum sollten diejenigen dafür bluten, die für unser tägliches Brot einen harten Job machen? Gewiss hätte man an anderer Stelle sparen können!

In dieser Traktoren-Streikwoche hatte ich selbst einen Termin. Er war mir wichtig.  Ich musste weit fahren und wollte pünktlich sein. Da kam mir, bei aller Sympathie, schon der Gedanke: Muss dieser Streik gerade jetzt sein? Ich habe mich so auf diesen Tag gefreut, habe extra frei genommen und nun das? Glücklicherweise gab es auf meiner Strecke keinen Stau und keine Umwege. Mein Tag war gerettet.

Viele Menschen, die mit der gleichen Sorge wie ich in diesen Tag gestartet waren, hatten dieses Glück nicht. Ihr Tag kam völlig durcheinander. Sie waren nicht pünktlich auf Arbeit, Lieferungen erreichten ihren Empfänger nicht, Urlauber verpassten ihr Flugzeug. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Ob die Landwirte mit ihrem Teilerfolg zufrieden sind, weiß ich nicht. Ich bezweifle es.

Schade, dass in unserer Gesellschaft legitime Interessen immer mehr auf diese harte Tour ausgefochten werden müssen. So wird es wohl passieren, dass ich beim nächsten Streik, von wem auch immer, nicht ohne Störung meiner Pläne davonkommen werde. Ich werde versuchen, es sportlich zu nehmen.

Was aber macht der, der sich nicht mit einem Traktor an die Autobahnauffahrt stellen kann?

Ist es wirklich nur ein frommer Wunsch, im vernünftigen Gespräch faire Lösungen zu finden? Für Landwirte, für Eisenbahner, für Busfahrer, für Krankenschwestern und Pfleger in den Krankenhäusern und Pflegeheimen und für andere Berufsgruppen, die zu unser aller Wohl rund um die Uhr arbeiten?

Warum ist für so viele Anliegen Geld da, aber beispielsweise nicht dafür, dass Pflegepersonal angemessen bezahlt wird und die Eigenanteile der gepflegten Menschen trotzdem bezahlbar bleiben? Ist es fair, wenn innerhalb kurzer Zeit ein Mensch im Pflegeheim zum Sozialfall wird? Er hat ein Leben lang für unsere Gesellschaft gearbeitet, hat sich nach dem Krieg und nach der Wende eingebracht und in die Sozialsysteme eingezahlt! Und nun das! Das ist höchst unfair und undankbar! Wer setzt sich ein für Menschen, die ihre Schuldigkeit getan haben (Sie kennen das Sprichwort?) und die im Alter auf elementare Hilfe angewiesen sind? Kann man mit solchem Einsatz für Alte und Kranke Wahlen gewinnen? Gibt es eine Initiative für ein Sondervermögen „Pflege“? Mir ist nichts bekannt.

Ich verstehe, dass viele streiken. Der Unmut derer, die von Streiks betroffen sind und die nichts am Problem ändern können, ist ebenfalls nachvollziehbar. Auch dieser Artikel wird nicht viel ändern.

Es steht für mich fest: In unserer Gesellschaft läuft etwas gehörig schief. Solange es im Großen wie im Kleinen nur um den eigenen Vorteil und die Frage geht: Was habe ich davon? solange wird es nicht besser werden.

Mich überzeugt immer mehr das ganz andere Lebensmodell von Jesus Christus: Liebe deinen Nächsten. Wir dürfen leider nicht erwarten, dass sich in den oberen Etagen viel ändert, aber wir können versuchen, unseren Alltag mit Liebe zu unterwandern. Liebe macht ja bekanntlich erfinderisch.

Versuchen Sie es mit einem kleinen persönlichem Streik: Nehmen Sie sich für den Anfang vor, ein oder zwei Tage keinen Menschen schlechtzureden sondern Gutes von ihm zu erzählen, verbannen Sie ihr unfreundliches Gesicht und reden Sie nett mit den Menschen, mit denen Sie gerade zu tun haben.

Verbieten Sie sich die Ausrede „Keine Zeit“ und rufen sie den Menschen an, der schon solange darauf wartet… Wenn ihr Streik einigermaßen gelungen ist, setzen sie den nächsten an. Vielleicht können Sie auch jemanden mit ihrem Streik anstecken! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und freundliche Mitmenschen!

„Wort zum Sonntag“, von André Rausendorf, Pfarrer in der Kirchgemeinde am Großen Stein Seifhennersdorf, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 10./11. Februar 2024.