2024-04-28 – Wertewandel

Ich bin mit dem Auto unterwegs auf der Autobahn. Vor mir fährt ein Schwerlasttransporter. Beim Näherkommen sehe ich, dass das Fahrzeug Kriegsgerät geladen hat – wirklich eine schwere Last. An diesen Anblick will ich mich einfach nicht gewöhnen.

Da las ich doch kürzlich von einem prominenten Glaubensbruder, dass Gewaltlosigkeit in der aktuellen Situation keine gute Lösung sei, Ein markanter Satz. Immerhin sagten wir doch bisher immer, dass Gewalt keine Lösung sei. Nun also Gewaltlosigkeit. Darüber muss ich nachdenken.

Ich sehe wohl, die Situation ist an verschiedenen Stellen in der Welt kritisch. Unlösbar, so scheint es manchmal. Nun, für mich ohnehin. Politik ist nicht mein Fachgebiet. Meine Kenntnisse in Fragen der Weltpolitik sind sehr begrenzt. Die Gemengelage an Motiven ist mir undurchsichtig. Weniger politisch als vielmehr menschlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch dort, wo es vermeintlich um das Wohl des anderen geht, dahinter oft genug eigene Interessen liegen.

In den letzten Monaten habe ich vielfach die Stimme derer gehört, die Gründe benennen, warum sich diese konkrete Situation ihrer Meinung nach nur mit Waffen lösen lässt. Ebenso habe ich das Entsetzen jener gehört, die nach wie vor keine Vorstellung davon haben, wie mit Waffen Frieden zu gewinnen sei und die das für den falschen Weg halten.

Zwischen all diesen Stimmen suche ich immer wieder die Stimme meines Herrn, die Stimme Jesu. „Herr, was sagst du dazu?“

Ich lese in den Evangelien und finde keinen Bibelvers, in dem Jesus zur Gewalt aufruft oder Gewalt auch nur als möglichen Weg in Erwägung zieht.

Einige markante Bibelstellen kommen mir in den Sinn: Jesu Worte über die Feindesliebe. Daneben zum Beispiel aber auch die Situation, als Petrus seinen Herrn verteidigen will und einem Soldaten mit dem Schwert das Ohr abschlägt. Petrus meint es sicherlich gut, aber Jesus wehrt die vermeintliche Hilfe seines Jüngers ab. Er heilt die Wunde des Soldaten, der ihn kurz darauf in Ketten legt. Es ist erstaunlich: Er begegnet dem, der ihm Böses will und sein Leben bedroht, mit Hilfe, Heilung, mit Liebe. Was für eine Kraft!

Nun höre ich oft den Einwand, man müsse doch aber dem Schwachen zur Seite stehen und dürfe ihn nicht allein lassen. Die Evangelien schildern viele Momente, in denen sich Jesus an die Seite von Frauen, Kindern, körperlich und seelisch Kranken, gesellschaftlich Ausgegrenzten gestellt hat. Jedoch war das Mittel seiner Wahl auch hier niemals Gewalt, sondern es waren oftmals Worte, besonnen und zugleich deutlich, oft auch kleine Gesten und wiederum Liebe.

Jesus war kein Politiker und es ist die Frage, inwiefern sich sein Handeln auf die Beurteilung der aktuellen Weltlage übertragen lässt. Ich will nicht naiv sein. Ich weiß, dass Christen in der Geschichte in innere Verzweiflung geraten sind, weil es sie zerrissen hat, dieser Zwiespalt zwischen dem Weg der Gewaltlosigkeit und der Sorge um ihre Mitmenschen (und nicht zuletzt der Sorge um das eigene Leben). Das wird auch heute so sein, dort, wo Menschen nach Gott fragen und den Weg der Nachfolge Jesu wählen.

Aber gerade darin spüre ich: Man kann diesen Weg der Nachfolge und dieses Ringen des eigenen Gewissens nicht abkürzen. Vor allem nicht dadurch, dass wir das, was Jesus uns gesagt und gezeigt hat, relativieren und behaupten, die Situation wäre heute eine andere und verlange andere Entscheidungen. Im Gegenteil, ich glaube, man muss die Zumutung in Jesu Worten und Taten aushalten. Und wer für sich den Weg der Nachfolge Jesu wählt, der wird suchen müssen, wo dieser Weg zwischen all den Argumenten und Stimmen liegt.

„Wort zum Sonntag“ von Elisabeth Süßmitt, Pfarrerin im Kirchgemeindebund Löbauer Region, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung vom 27./28. April 2024.