Landesbischof Bilz zur Veröffentlichung der ForuM-Studie: „Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen und konsequent handeln“

Landeskirche sieht Ergebnisse als Hilfe für die weitere Aufarbeitungs- und Präventionsarbeit

DRESDEN – Die Veröffentlichung der ForuM-Studie am heutigen 25. Januar 2024 ist auch für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens und die Diakonie Sachsen ein wichtiges Datum. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und ihre Landeskirchen hatten die Aufarbeitungsstudie ForuM ausgeschrieben und finanziert, um mehr über die Gefährdungskonstellationen für sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie zu erfahren.

Landesbischof Tobias Bilz: Wir nehmen die Ergebnisse der Studie sehr ernst

„Die nun vorliegenden Ergebnisse der ForuM-Studie zeigen in ihrer Gesamtsicht auf erschütternde Weise das Ausmaß, in dem sexualisierte Gewalt auch in unserer Kirche stattgefunden hat. Sie zeigen aber auch das Versagen unserer Kirche im Umgang mit den Betroffenen und das Leid, welches damit für die Betroffenen bis heute verbunden ist“ sagt Tobias Bilz in einer ersten Reaktion auf die heute veröffentlichte Studie. Er macht deutlich, dass die Kirche hier in doppelter Weise an den Betroffenen schuldig geworden sei: „Wir konnten sie vor der Gewalt nicht schützen und sind ihnen oftmals nicht gerecht geworden, als sie den Mut fanden darüber zu sprechen“, so Landesbischof Bilz.

Aus dieser Erkenntnis erwachse eine dauerhafte Verantwortung und Pflicht zum Handeln. „Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen und konsequent handeln“, sagt Landesbischof Bilz. Und er betont: „Wir nehmen die Ergebnisse der Studie sehr ernst. Die Studie wird auch in der sächsischen Landeskirche intensiv ausgewertet werden und in unsere bereits laufenden Prozesse der Aufarbeitung einfließen“, kündigt Tobias Bilz an. So werde auf der Basis der Ergebnisse der ForuM-Studie und den Erkenntnissen der bereits begonnenen Aufarbeitungsprozesse in Sachsen werde nun eine institutionelle Aufarbeitung der Taten von Kurt Ströer erfolgen. „Der Blick in die Vergangenheit ist notwendig, aber ebenso wichtig ist es, dafür Sorge zu tragen, dass Menschen überall in der Kirche vor Gewalt geschützt sind und es in jeder Kirchgemeinde Klarheit im Umgang mit Verdachtsfällen gibt.“ Es gelte deshalb, die in der Studie identifizierten strukturellen Probleme ernst zu nehmen und in der Präventionsarbeit, in der Erstellung von Schutzkonzepten und im Umgang mit Betroffenen zu berücksichtigen. Landesbischof Bilz dankt den Betroffenen, die sich zur Mitarbeit in der Studie bereitgefunden haben, sowie den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, welche die Daten ausgewertet haben.

Gemeldete Fallzahlen von Landeskirche und Diakonie

Die Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hat für den Bereich der Landeskirche und der Diakonie zum Stichtag 31.12.2020 41 nachweisbare Fälle minderjähriger Betroffener mit 28 Beschuldigten an den Forschungsverbund gemeldet. Unter den Beschuldigten sind 13 Pfarrpersonen, drei Personen aus anderen Verkündigungsberufen, acht sonstige Mitarbeiter und ein Ehrenamtlicher. Drei Beschuldigte konnten nicht identifiziert werden. 

Hintergrund: ForuM-Studie

Das Forschungsprojekt ForuM ist ein unabhängiges Projekt und umfasst ein Metaprojekt sowie mehrere Teilprojekte. Beteiligte Institutionen sind die Hochschule Hannover, die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, die Bergische Universität Wuppertal, die Freie Universität Berlin, das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München, das Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim sowie die Universität Heidelberg. Ein Verbundbeirat begleitete das Forschungsprojekt. Er bestand aus externen Wissenschaftler/innen, Betroffenen von sexualisierter Gewalt und kirchlichen Beauftragten.

Ende 2020 nahm der Forschungsverbund ForuM mit einer breit angelegten unabhängigen Studie zum Thema sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche seine Arbeit auf. Die am heutigen 25. Januar 2024 veröffentlichten Ergebnisse werden nun intensiv diskutiert, um bestehende Konzepte zur Aufarbeitung, Intervention und Prävention weiter zu verbessern.

Hintergrund: Hilfe für Betroffene sowie Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung in der EVLKS

Unterstützung und Hilfe für Betroffene

Betroffene sexualisierter Gewalt und ihre Angehörigen können sich an die Ansprechstelle für Fälle sexualisierter Gewalt in der EVLKS wenden. Sie berät zu Unterstützungsmöglichkeiten und übernimmt die Klärung von Anliegen Betroffener. Anträge an die Unabhängige Anerkennungskommission können über die Ansprechstelle eingereicht werden.

Zur Anerkennung erlittenen Unrechts durch sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und zur Unterstützung ihrer individuellen Aufarbeitung können sich Betroffene an die Unabhängige Anerkennungskommission (UAK) wenden. Diese Kommission erkennt erlittenes Unrecht an und spricht finanzielle Anerkennungsleistungen zu.

Prävention und Intervention

In der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Maßnahmen zur Prävention verbindlich geregelt. So sind alle kirchlichen Anstellungsträger verpflichtet, Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt zu entwickeln. Die Kirchenbezirke haben Präventionsbeauftragte benannt, die die Anstellungsträger bei der Erstellung von Schutzkonzepten unterstützen. Im Zusammenhang mit der Gewaltschutz-verordnung wurde auch ein Verhaltenskodex erarbeitet, dessen Kenntnis und Einhaltung die beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden nach einer entsprechenden Schulung mit ihrer Unterschrift bestätigen. Dieser formuliert zentrale Regelungen und Pflichten zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und anderen Grenzüberschreitungen. Für eine haupt- oder ehrenamtliche Tätigkeit im Raum der Kirche kommt grundsätzlich nicht in Betracht, wer wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die nach staatlichen Vorschriften zu einem Ausschluss von der Kinder- und Jugendarbeit führt. Dazu müssen die kirchlichen Anstellungsträger regelmäßig das erweiterte Führungszeugnis einsehen. Alle Haupt- und Ehrenamtlichen müssen regelmäßig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen – unabhängig von ihrer Tätigkeit.

Liegt ein begründeter Verdacht von sexualisierter Gewalt vor, haben Mitarbeitende Vorfälle sexualisierter Gewalt oder Verstöße gegen das Abstinenzgebot, die ihnen zur Kenntnis gelangen, unverzüglich der Meldestelle zu melden oder die Meldung zu veranlassen. Bei Verdachtsfällen von Gewalt ist auf die Handlungsleitfäden zurückzugreifen. Dort sind die verantwortlichen Personen benannt.

Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der EVLKS

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche hat neben der Beteiligung an der ForuM-Studie zwei weitere Aufarbeitungsprozesse initiiert. So wurde nach Bekanntwerden der Fälle sexualisierter Gewalt in der Kirchgemeinde Pobershau im Jahre 2019 eine Unabhängige Aufarbeitungskommission eingesetzt, welche 2023 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat.

Die Theologische Aufarbeitung der Taten von Kurt Ströer erfolgte durch eine von der Landeskirche berufene Arbeitsgruppe zur Theologischen Aufarbeitung des Handelns von Kurt Ströer. Durch die Aufnahme des Falls in das Teilprojekt A der ForuM-Studie ist die Aufarbeitung des Handelns von Kurt Ströers sowie des Umgangs damit innerhalb der Landeskirche Teil der ForuM-Studie. Nach Sichtung der Ergebnisse werden weitere Schritte veranlasst.

Die gemeinsame Erklärung, die die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sowie die Diakonie Deutschland am 13. Dezember 2023 unterzeichnet haben, ermöglicht es nun in Sachsen eine Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission für Diakonie und Landeskirche zu initiieren. Dafür haben die Vorbereitungen bereits begonnen.